Schliessen

Das Sterben meiner Mütter

Das Sterben und den Tod der eigenen Mutter habe ich verpasst. Das machte mir lange zu schaffen. Miterlebt habe ich hingegen das Sterben der beiden Schwiegermütter. Es zeigte mir, wie unterschiedlich Menschen mit Sterben und Tod umgehen.

Dürfen wir es verantworten, jetzt zu verreisen? Das fragten wir uns vor unserer Reise in die USA bange. Nachdem meine Mutter infolge ihrer Krebserkrankung gelähmt und pflegebedürftig war, lebte sie im Heim. Mein Vater besuchte sie täglich und umsorgte sie liebevoll. Das entlastete uns Geschwister. Nach und nach hatte sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert. Bei meinen wöchentlichen Besuchen interessierte sie vor allem das Wohlergehen der Enkelkinder. Übers Sterben sprachen wir nicht.

Schliesslich entschieden wir uns mit ihrem «Segen», die Reise wie geplant anzutreten. Da es vor 38 Jahren noch keine Handys gab, rief ich meine Schwester regelmässig an und erkundigte mich nach der Mutter. «Weisst du denn nicht, dass sie gestorben ist», meinte meine Schwester bei einem der Anrufe. Auch die Beerdigung sei schon vorbei.

Die Nachricht war für mich ein Schock. Ich konnte es nicht fassen. Ich erfuhr, dass uns meine Geschwister bei unseren Freunden mehrmals zu erreichen versucht hatten. Warum hatten wir das Telefon nicht gehört? Wir waren doch zu den angegebenen Zeiten im Haus. Rückblickend denke ich: Unsere Mutter hat dafür gesorgt, dass unsere Reise nicht gestört wurde.

Da ich mich von ihr nicht verabschieden konnte, habe ich bis heute Mühe zu begreifen, dass sie wirklich gestorben ist.

Nahe erlebte ich hingegen das Sterben meiner ersten Schwiegermutter viele Jahre später. Auch nach der Scheidung hatte ich sie «Mueti» genannt. Sehr lange hatte sie mir die Schuld an der Trennung von ihrem Sohn zugewiesen und konnte mir nicht verzeihen. Die änderte sich erst, als wir die Schwägerin einmal bei ihrer Pflege entlastet hatten. Ich besuchte Mueti regelmässig im Pflegeheim und im Spital bei der Sterbephase. «Hast du keine Jacke dabei?», fragte sie mich, bis zuletzt besorgt um alles.

«Danke, du bist mein Engel», sagte sie mir versöhnlich, als ich ihr ungelenk das Essen eingegeben hatte. Eine Nähe wie nie zuvor war entstanden. Sie war auf das Sterben vorbereitet und freute sich auf die Begegnung mit ihrem Mann und ihrer älteren Tochter.

Es war für mich ein wunderbarbares Geschenk, an diesem langsamen Auslöschen teilzuhaben, und es war tröstlich zu spüren, wie gut sie ihr Leben zu Ende gelebt hat.

Wie anders erfuhr ich das Sterben meiner zweiten Schwiegermutter! Sie war eine starke Frau, stets beherrscht und als Ärztin und Politikerin ganz für die anderen da. Noch mit 94 lebte sie fast bis zuletzt in ihrer betreuten Wohnung. Das Sterben war wohl ein Thema bei den MitbewohnerInnen. So erzählte sie einmal, wie die Nachbarin vorbeigekommen sei und die Kleider und den Schmuck gezeigt habe, mit denen sie begraben werden möchte. In der Familie jedoch wollte sie nicht über Sterben und Tod und ihre diesbezüglichen Wünsche sprechen. Was nötig war, hatte sie geordnet.

Sie wollte leben, bis es soweit sei.

Als es ihr nach einer Lungenentzündung nicht mehr gut ging, brauchte sie mehr Betreuung, der Wechsel ins Pflegeheim war für sie selbstverständlich. Sie machte nicht viele Worte und zog sich ganz in sich zurück. Es schmerzte meinen Mann, dass selbst jetzt keine Nähe möglich wurde. Er musste es akzeptieren.

Sie hatte mit mir häufig über ihre Zweifel am Glauben und ihre Mühe mit der katholischen Kirche gesprochen. Ob sie das Thema immer noch beschäftige, fragte ich sie bei einem meiner letzten Besuche. Sie habe alles Traditionelle längst hinter sich gelassen und sei im Frieden mit sich und der Welt, meinte sie ruhig.

Das folgende Gedicht von Angelus Silesius resp. Karl Jaspers war ihr stets wichtig gewesen:

Ich komm’, ich weiss nicht woher
Ich bin, ich weiss nicht wer
Ich sterb’, ich weiss nicht wann
Ich geh’, ich weiss nicht wohin
Mich wundert, dass ich fröhlich bin.

Nach ihrem Tod fanden wir auf ihrem Nachttisch quasi als ihr Vermächtnis die folgende handschriftliche Version ihres Lieblingsgedichtes:

Ich komm’, Du weisst schon woher
Ich bin, Du weisst schon wer
Ich sterb, Du weisst schon wann
Ich geh, Du weisst schon wohin
Das ist’s, warum ich fröhlich bin.

Monika

Wir verwenden Cookies und ähnliche Technologien, um das Nutzererlebnis auf unserer Website zu verbessern. Durch die weitere Nutzung dieser Website stimmen Sie unserer Verwendung von Cookies und ähnlichen Technologien zu. Mehr erfahren