Barbara Bischoff Frei
Schon sehr früh war mir klar, dass ich einmal einen Beruf erlernen wollte, den ich auch im Ausland ausüben konnte. Fremdsprachen haben mich immer fasziniert und die wollte ich lernen, aber auch vor Ort anwenden. Meine Schwester besuchte das Lehrerinnenseminar, mein Bruder eine Handelsschule. Ich entschloss mich, Säuglingspflegerin zu werden. Noch während der zweijährigen Ausbildung merkte ich, dass ich beruflich weitermachen wollte. Als ich aber meinen Wunsch äusserte, die Kantonale Maturitätsschule für Erwachsene zu besuchen, intervenierten meine Eltern. Sie fanden, ich solle nun zuerst einmal arbeiten. So nahm ich eine Stellung als Säuglingspflegerin in Spanien an – die Gelegenheit, eine weitere Sprache zu erlernen.
(Fortsetzung)
Nach diesem Jahr in Spanien absolvierte ich eine Ausbildung zur Psychiatrieschwester. Diese Arbeit hat mir sehr zugesagt. Meinen Wunsch, die Ausbildung zur Berufsschullehrerin gleich anzuschliessen, musste ich jedoch vorerst vertagen, da ich bald heiratete und Kinder bekam. Nach der Familienphase habe ich ihn nachgeholt.
Typische Frauenberufe für Mädchen
Mitte der 1960er Jahre war es wohl üblich, dass Mädchen einen Beruf erlernten – mit Vorteil einen, der später in einem eigenen Haushalt gebraucht werden konnte. Im Allgemeinen standen den Mädchen typische Frauenberufe offen: Coiffeuse, Verkäuferin, Stenodactylo/Sekretärin, Krankenschwester…
Ob damals wohl ein handwerklicher Betrieb einen weiblichen Lehrling angestellt hätte? Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Mädchen je einen solchen Wunsch geäussert hätte. Wir wurden ja auch noch in der Sekundarschule in textiler Handarbeit unterrichtet und die Knaben hatten Werkunterricht mit Holz und Metall….
Für etliche Frauenberufe, z.B. für die Pflegeberufe, war ein Mindestalter von 18 Jahren vorgeschrieben. Idealerweise besuchten die jungen Frauen bis dahin ein Haushaltslehrjahr in einer Familie oder eine Ecole ménagère. So verbesserten sie gleichzeitig ihre Französischkenntnisse.
Viele Mädchen, die gerne in die Schule gingen, wählten den Weg zur höheren Bildung über das Lehrerinnenseminar. Das ermöglichte ihnen später den Zugang zur Universität.
Unterschiedliche Angebote
Es gab damals bezüglich der Bildungsmöglichkeiten einen grossen Stadt-Land-Graben. Das hatte nichts mit den Fähigkeiten der jungen Menschen zu tun, sondern war sehr oft vom Angebot in der Stadt, resp. demjenigen auf dem Lande abhängig. In meinem kleinstädtischen Umfeld beispielsweise fehlte der Zugang zu einem Gymnasium. Die nächstgelegene Kantonsschule (resp. Gymnasium) war ausserkantonal. Der Lehrplan der Volksschule war jedoch kantonal geprägt, so dass es nicht einfach war, ein ausserkantonales Gymnasium zu besuchen.
Die Kantonsschule war meistens in der Kantonshauptstadt. Je nach Entfernung vom Wohnort hiess das, in eine Internatsschule einzutreten oder im Konvikt der Kantonsschule zu wohnen. In St. Gallen gab es nur ein Internat für Knaben. Die Kosten dafür wären für viele Familien auch eine grosse finanzielle Belastung gewesen. Und diese «lohnte» sich eher für einen Sohn als für eine Tochter, die ja hoffentlich bald heiraten und dann eh die Familienarbeit übernehmen würde.
Oft wollten auch gebildete Eltern nicht zu viel in die Ausbildung der Töchter investieren. Wichtig war eher, dass sie auf eine «gute Partie» vorbereitet wurden. Dazu gehörten Fremdsprachenkenntnisse und Haushaltschule.
Ich kenne Mädchen, die das Gymnasium abbrachen, weil die Eltern nicht in der Lage waren, ihnen anschliessend ein Studium zu finanzieren. Andere durften keinen Beruf erlernen, weil es im elterlichen Betrieb genug Arbeit gab und die Söhne durch ein Studium oder eine Berufslehre nicht zur Verfügung standen. Eine Freundin, die nach dem Lehrerinnenseminar an die Universität ging, fand bei ihrer Mutter wenig Verständnis. «Männer mögen gebildete Frauen nicht besonders», sagte sie ihr. Oder sie musste sich anhören: «Was, du gehst zur Uni? Willst du denn nicht heiraten?»
Das Dreiphasenmodell
Die Rollennormen spielten also bei der Berufswahl eine wichtige, einschränkende Rolle. Ausdruck davon war das Dreiphasenmodell: Ausbildung und Berufsarbeit – Familienphase – Wiedereinstieg.
In meinem Bekanntenkreis haben viele Frauen später, eben nach der Familienphase, eine Zweitausbildung gemacht. Das war herausfordernd und erst möglich, als die Erwachsenenbildung ausgebaut wurde.
Aus heutiger Sicht fast unglaublich ist die Tatsache, dass bis zum Inkrafttreten des neuen Eherechts 1988 ein Ehemann seiner Gattin die Erlaubnis entziehen konnte, eine Berufstätigkeit auszuüben. Widersetzte sie sich dieser Forderung, konnte das ein Scheidungsgrund sein und mit dem Sorgerechtsentzug der Kinder bestraft werden.
Es war damals auch schwieriger, die Berufsarbeit mit der Familie zu vereinbaren. Denn noch in den 1970er Jahre besuchten vor allem Scheidungskinder oder Kinder von MigrantInnen eine Krippe. Kitas waren rar, nur Städte und grössere Industrieorte kannten diese Einrichtungen. Auf dem Lande war Fremdbetreuung verpönt. Tagesmütter übernahmen allenfalls diese Aufgabe oder die Grosseltern, sofern sie in der Nähe wohnten.
Und heute? Gleichstellungsziele nicht erreicht
Schon für die Generation der 1970er Jahre war es bedeutend einfacher, einen Beruf zu wählen. Der Lehrstellenmarkt hatte sich erweitert und neue, spannende Ausbildungen waren hinzugekommen. Ab Mitte der 1990er Jahre gab es die Möglichkeit, parallel zur Lehre oder in einem Anschlussjahr die Berufsmittelschule zu besuchen und eine Berufsmaturität abzulegen. Diese ermöglicht den Zugang zu den Höheren Fachschulen und den Fachhochschulen. Die Geschlechterfixierung auf sog. Frauen- und Männerberufe blieb aber unverändert hoch. Noch immer gab es wenige Mädchen, die einen typischen Männerberuf wählten. Das Umgekehrte war noch seltener.
Der Zugang zum Gymnasium ist für Mädchen heute problemlos möglich. Die finanziellen Möglichkeiten der Eltern sind nicht mehr das Hauptkriterium. Es gibt oft Stipendien. Junge Frauen und Männer aus bildungsferneren Schichten oder mit Migrationshintergrund sind in den Gymnasialklassen jedoch nach wir vor untervertreten. Das trifft auch auf die Universitäten zu.
Die Durchlässigkeit der Ausbildungen hat sich aber signifikant erhöht: Sie reicht von der Sekundarstufe 2 über Berufsmatura oder gymnasiale Matura bis hin zum Bachelor und zum Master an einer tertiären Bildungsinstitution. Das eröffnet der heutigen Generation neue Perspektiven. Ein einmal gewählter Beruf braucht nicht mehr eine Sackgasse zu sein.
Doch gibt es für die heutige Generation andere Probleme: Finde ich eine Lehrstelle in meinem Wunschberuf?
Braucht es diesen Beruf in Zukunft überhaupt noch oder fällt er der Technologisierung zum Opfer?
Wie bilde ich mir in Zeiten der Pandemie ein konkretes Bild meines Wunschberufes, wenn Schnupperlehren und Kontakte zum Betrieb wegfallen?
Kann ich mein Wunschstudium machen, oder gibt es erschwerende Zugangsbeschränkungen oder geringe Verdienstmöglichkeiten nach Studienabschluss?
Finde ich später auch eine Anstellung?
Zudem ist das Problem der Lohngleichheit noch immer nicht erledigt. Typische Frauenberufe sind allgemein schlechter bezahlt.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Hier hat sich viel getan. Die Fremdbetreuung der Kinder ist heute anerkannt, und es ist unbestritten, dass Kinder von einer Kita sozial profitieren. Aber die Doppelbelastung der berufstätigen Frauen mit Haushalt und Familie ist noch immer hoch. Sie tragen laut Studien die Hauptlast der Haushaltsarbeit und der Kinderbetreuung. Sie arbeiten deshalb auch vermehrt Teilzeit, was zur Folge hat, dass ihre Karrierepläne nicht intakt sind: Je tiefer der Anstellungsgrad, desto unwahrscheinlicher die Aufstiegschancen. Auch wenn wir heute einen wirksamen Mutterschutz haben, ist es für eine junge Frau oft schwieriger, eine Anstellung zu bekommen, wenn sich gleichzeitig ein Mann bewirbt. Sie könnte ja schwanger werden! Umfragen zeigen, dass eine Mehrzahl der Männer ihr Arbeitspensum reduzieren möchten und eine Lohneinbusse in Kauf nehmen würden. In der Praxis arbeiten jedoch nur gut 13 Prozent Teilzeit. So wird uns das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch lange beschäftigen.
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