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Zwei Menschen, zwei Generationen, eine Leidenschaft: die Politik

Sie haben Politik im Blut: Maya Eigenmann Fisch (68) aus Madiswil war SP-Grossrätin, Sofia Fisch (25), lebt und studiert in Bern und engagiert sich bei den Jungsozialisten/JUSOS.
Sie haben Politik im Blut: Maya Eigenmann Fisch (68) aus Madiswil war SP-Grossrätin, Sofia Fisch (25), lebt und studiert in Bern und engagiert sich bei den Jungsozialisten/JUSOS.

Irmgard Bayard

Mit und nach dem Frauenstimmrecht sei schon viel erreicht worden, sagen Maya Eigenmann Fisch und Sofia Fisch. Sie sind sich aber auch einig, dass es in Sachen Gleichstellung noch viel Engagement braucht. Gerade Sofia, die als Geschlecht nicht-binär angibt, sich also weder ausschliesslich weiblich noch explizit männlich fühlt, wird häufig mit der Gender-Frage konfrontiert.

Maya Eigenmann, wie kamen Sie zur Politik?

In unserer Familie wurde regelmässig über gesellschaftliche Fragen diskutiert. Die Mittagsnachrichten und die Tagesschau waren feste Bestandteile im Tagesablauf. Mein Vater war stolz auf uns zwei Töchter und ermutigte uns, eine gute Ausbildung abzuschliessen, um im Beruf weiterzukommen. Immer wieder hat er uns auf das Leben erfolgreicher Frauen hingewiesen. So war es schon früh klar, dass ich mich für Frauenfragen einsetzen werde.

Als Sie volljährig wurden, war das Frauenstimmrecht bereits eingeführt. Erinnern Sie sich an Ihre erste Abstimmung?

Die erste Abstimmung, an der ich teilnehmen konnte, war im Dezember 1973. Es handelte sich um fünf Bundesbeschlüsse, die alle angenommen wurden. Im Folgejahr wurde dann über das «Volksbegehren gegen die Überfremdung und Übervölkerung der Schweiz» der Nationalen Aktion, die sogenannte Schwarzenbach-Initiative, abgestimmt. Ich erinnere mich noch sehr genau an die Debatten. Vor allem die Angst eines betroffenen Arbeiters, ausgewiesen zu werden, ist mir noch sehr präsent. Der Italiener war lange Jahre im Dienst einer Behindertenorganisation tätig und bestens in der Schweiz integriert. Umso grösser war die Erleichterung: Die Initiative wurde mit 65.8 Prozent abgelehnt.

Und Sie, Sofia Fisch, wann wurde Ihr Interesse an der Politik geweckt?

Meine Eltern haben viele politische Diskussionen miteinander geführt, die ich schon als Kind mitverfolgt habe. Sie haben mir Werte wie Gerechtigkeit und Fairness mit auf den Weg gegeben. Ich habe die Welt schon früh als ungerecht empfunden. Dagegen wollte ich ankämpfen.

Wie sind Sie beide zur Parteipolitik gekommen?

Maya Eigenmann: Der Entscheid, mich einer Partei anzuschliessen, ist bei mir Ende der 1970er-Jahre gereift, weil ich mich für mehr Gerechtigkeit einsetzen wollte. Ich erlebte die Diskussionen in einer Berner Sektion der SP als äusserst spannend. Das war absolutes Neuland. Als dann in den frühen 1980er-Jahren die SP-Frauensektion in der Stadt Bern gegründet wurde, war für mich ein Übertritt klar.
Sofia Fisch: Für mich war immer klar, dass mein Herz rot schlägt. Die JUSO und die SP sind meiner Meinung nach diejenige Kraft, welche am stärksten für Gerechtigkeit einsteht. Sie vertreten meine wichtigsten Anliegen und es schwingt immer etwas Systemkritik mit.

Apropos Kritik: Die JUSO vertreten ihre Politik manchmal etwas aggressiv. Hatten Sie als Mutter nie Probleme, wenn Sofia lautstark auf die Barrikaden ging?

Maya Eigenmann: Doch, natürlich hatte ich am Anfang manchmal Mühe mit den radikalen Ansichten und Aktionen. Mir war auch nicht immer ganz klar, welche politischen Ziele verfolgt werden. Aber ich habe durch Sofia auch sehr viel gelernt. Sofia hat mich zum Nachdenken angeregt und mich gezwungen, die Blase zu verlassen, in der ich lange stehen verblieben bin.
Sofia Fisch: Früher haben mich die Ansichten meiner Mutter, zum Beispiel in Bezug auf die weibliche und männliche Form in einem Text, eher genervt. Erst als ich mich ernsthaft in Diskussionen mit Feminismus und Gleichstellung befasst habe, konnte ich ihre Anliegen verstehen und vertreten.

Ihre Generation, Frau Eigenmann, hat viele politische und gesellschaftliche Rechte für die Frauen erkämpft. Was haben die Frauen seit 1971 erreicht?

Maya Eigenmann: Vieles. Junge Frauen sind selbstbewusst geworden und haben dabei ihre Fröhlichkeit nicht verloren. Durch Social Media sind sie miteinander vernetzt, lenken die Aufmerksamkeit der Medien auf ihre Anliegen. Dabei wird zunehmend wichtig, Mehrfachdiskriminierungen zu berücksichtigen und eigene Privilegien zu reflektieren.

Warum geht Ihr jungen Menschen dann noch immer auf die Barrikaden?

Sofia Fisch: Ja, es wurde bereits viel erreicht. Von der tatsächlichen Gleichstellung sind wir jedoch noch meilenweit entfernt. Jede fünfte Frau hat schon einmal sexuelle Handlungen gegen ihren Willen erlebt. Die meisten Übergriffe geschehen im Privaten. Trotzdem haben wir ein Sexualstrafrecht, das sich hartnäckig veralteter Vergewaltigungsmythen bedient. Es ist erlaubt, öffentlich gegen Trans-, Inter- und nicht-binäre Personen zu hetzen. Es gibt noch viel zu tun. Die Gleichstellung ist auch nicht erreicht, wenn wir in allen Chefetagen 50 Prozent Frauen haben. Die Gleichstellung ist erst erreicht, wenn alle Menschen unabhängig ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, Religion, sexuellen Orientierung und ihres ökonomischen Status selbstbestimmt leben können.
Maya Eigenmann: Das stimmt. Es gibt immer noch viel zu tun. In den politischen Gremien auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene müssen die Frauen besser vertreten sein, ebenso und vor allem in Führungsgremien der Privatwirtschaft. Das bedeutet aber, dass sich in diesem Bereich und im Privatleben Menschen selbstverständlich auf Augenhöhe begegnen, einander achten und sich zuhören. Es bedeutet aber auch, dass sie ihre Macht teilen.

Haben sich die Bemühungen um die Rechte der Frau respektive die Art des Kampfes dafür in den letzten Jahren geändert?

Sofia Fisch: Einige Forderungen sind gleichgeblieben, viele neue sind dazugekommen. Feminismus hat sich weiterentwickelt. Heute wird versucht, möglichst vielfältige Lebensweisen und Perspektiven miteinzubeziehen. Damit die Forderung der Gleichstellung aller Menschen realisiert werden kann, ist es wichtig, die Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen anzuerkennen und eigene Privilegien zu reflektieren. Die Mittel des Kampfes haben sich sicherlich teilweise geändert. Es wird viel über die Sozialen Medien kommuniziert und mobilisiert. Aber auch heute noch wird als Druckmittel der Protest auf der Strasse eingesetzt - wenn dies Corona bedingt möglich ist.

Maya Eigenmann, Sie waren Lehrerin. Konnten Sie junge Menschen für Politik interessieren?

Im Fach Staatskunde habe ich die Jugendlichen zum Nachdenken angeregt, zum Beispiel indem wir mit dem Abstimmungsbüchlein gearbeitet haben. Zwei Gruppen mussten dann Für- und Gegenargumente vertreten. Das hat ihr eigenes Denken gefördert. Und ich hoffe, durch meine motivierende Art viele Leute zu einem Engagement in der Gesellschaft ermuntert zu haben.

Sie, Sofia Fisch, studieren Rechtswissenschaften. Hat das mit Ihrem starken Gerechtigkeitssinn zu tun?

Auch. Das Rechtssystem schafft Grundlagen. Und wer das Recht kennt, kann dieses für die Schaffung von mehr Gerechtigkeit einsetzen.

Wie werden Sie sich in Zukunft in der Politik engagieren?

Sofia Fisch: Politisch aktiv werde ich auf jeden Fall bleiben. Für Themen, die mir am Herzen liegen, möchte ich weiterhin mithelfen, politischen Druck aufzubauen. Es ist gut möglich, dass ich beispielsweise bei den Grossratswahlen für die JUSO kandidiere. Dabei geht es mir in erster Linie darum, dass wir als JUSO unsere Forderungen in der Öffentlichkeit platzieren und Diskussionen anregen können.
Maya Eigenmann: Aktuell bin ich in meiner Wohngemeinde Mitglied der Rechnungsprüfungskommission und engagiere mich im RegioForum Oberaargau der GrossmütterRevolution.

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