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Die vielen Seiten des Alters

Das Unterwegssein in der Natur hilft, die Gedanken zu ordnen und zu sich zu kommen.
Das Unterwegssein in der Natur hilft, die Gedanken zu ordnen und zu sich zu kommen.

Texte: Andra Fetz, Marianne Stohler, Monika Fischer.
Fotos: Monika Fischer

In dieser Ausgabe machen sich drei Frauen Gedanken zum Alter. Andrea Fetz als Jüngste im Team sucht auch drei Jahre nach der Pensionierung noch nach ihrer Bedeutung in der Gesellschaft. Marianne Stohler befasst sich mit der Balance zwischen Engagement und Freiräumen. Monika Fischer ist mit bald 80 nach einer Streifung und der glücklicherweise guten Erholung im Alter angekommen.

(Fortsetzung)

Entwicklung im Alter
Andrea Fetz

Nun sind es drei Jahre seit ich mich pensionieren liess. Das scheint auf das Leben gesehen eine kurze Zeit und gleichzeitig fühlt es sich an, als wäre es eine lange, weil intensive Spanne. Noch fühle ich mich nicht alt, bin jedoch mit grossen Veränderungen konfrontiert.

Früher wurde meine Identität durch meine Leistungsfähigkeit und meine Berufsrolle gefestigt – einmal aus dem beruflichen Hamsterrad ausgetreten, realisiere ich nun meinen erhöhten Bedarf an Regeneration. Das Anspruchsniveau muss herabgesetzt und eine Balance zwischen Aktivität und Ruhe gefunden werden. Noch ist es möglich, meine Wanderrouten an die geschundenen Knie anzupassen und mir eine stärkere Lesebrille anfertigen zu lassen. Aber mich nicht mehr über längere Zeit auf sehr komplexe Situationen konzentrieren zu können, empfinde ich als einschneidende Veränderung. Ich bin gefordert, diese Tätigkeiten zu portionieren oder in anderen Aufgaben Sinnhaftigkeit zu finden.

Einmal aus dem Beruf ausgeschieden, verändert sich unsere gesellschaftliche Bedeutung schlagartig. Die Beziehung zu den eigenen Kindern hat sich schon länger verändert, sie sind zu eigenständigen und reifen Persönlichkeiten geworden und brauchen uns nicht mehr. So erleben wir einen markanten Machtverlust in zwei Rollen. Die mit der Pensionierung einhergehende materielle Veränderung kann je nach Situation beträchtlich sein. Wir sind gefordert, uns zunehmend an die sich verändernde Realität anzupassen, manchmal Lebensziele zu ändern und unser Selbstbild zu transformieren. Und es braucht Mut, der damit einhergehenden Verunsicherung zu begegnen.

Was uns unterstützt, ist der Austausch mit anderen Frauen und Männern im sogenannten Lebensabend. Wir können verschiedene Lebensentwürfe und Bewältigungsstrategien kennen lernen. Und während des Lebens erworbene Kompetenzen wie Selbstreflexions- und Anpassungsfähigkeiten unterstützen unseren Prozess. Und das Bewusstsein, schon mehrere Herausforderungen bewältigt zu haben.

Engagement versus Freiräume
Marianne Stohler

Wow, diese Veranstaltung klingt toll, die würde mich sehr interessieren. Hier sucht der Frauenverein noch jemanden, um zu servieren, das würde ich gerne machen. Diesen Film will ich mir auch schon lange ansehen und das Buch hier will schon seit langem gelesen werden. Die Frauengruppe erwartet meine Präsenz und das Protokoll der letzten Sitzung ist ebenfalls noch nicht geschrieben.
Dazu kommen so viele Dinge, Themen, die mich interessieren und die mir täglich begegnen.
Auch die Tageszeitung verlangt mein Interesse und die Wochenzeitung WOZ der letzten Woche liegt ebenfalls noch ungelesen auf dem Stuhl.
Mein Kalender wird immer mehr gefüllt mit Kinderhüten, Veranstaltungen besuchen, Artikel schreiben, mich um Freundinnen kümmern, denen es nicht gut geht. Es hört nie auf.

Manchmal sitze ich dann, in einer ruhigen Minute, an meinem Schreibtisch und überlege, wie ich das alles unter einen Hut bringen soll. Dabei wird mir auch klar: So kann es nicht weiter gehen. Ich spüre nämlich immer mehr, wie meine Kräfte abnehmen, ich immer müde bin und kaum mehr zum Abschalten komme.
Ich frage mich oft, wie machen das die anderen, die Zeit haben draussen auf einer Bank in aller Ruhe ein Buch zu lesen, oder einfach einmal in den Tag hineinzuträumen. Was ist es, das mich dauernd auf Trab hält, diese innere Unruhe, aber auch das Bedürfnis, all das Interessante, das mir täglich begegnet weiter zu vertiefen? Ich habe solche Lust noch Vieles auszuprobieren, an vielen Aktivitäten teilzunehmen, mich zu engagieren und doch: Ich muss mir eingestehen, dass ich nicht mehr alles schaffe. Ich bin schneller müde, brauche unbedingt mehr Zeit, um immer wieder abzuschalten und um zu mir zu kommen.

Alt werden, oder besser alt sein, ist nicht einfach, das erlebe ich nun ganz konkret. Wie lerne ich zu akzeptieren, dass vieles nicht mehr geht, was ich früher ohne Probleme meisterte. Bei Bergtouren tritt es ganz klar zu Tage und dort kann ich es leichter akzeptieren. Wunderschöne Erlebnisse gibt es auch auf kleineren Touren.
Schwieriger ist es im Alltag. Ich mache alles gern, was ich mache, darum fällt es so schwer abzusagen, nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Aber ein Teil von mir will auch unbedingt mehr Freiräume, Zeit für mich. Ich will bei schönem Wetter einfach loszuziehen oder spontan verreisen. Ich bin auf dem Weg dazu!

Im Alter angekommen
Monika Fischer

Lange Zeit spürte ich mein Älterwerden nicht, im Gegenteil: Stets neugierig und an vielem interessiert, war ich schnell voller Feuer und Tatendrang, wenn mich ein Thema bewegte - und besass auch die nötige Kraft und Ausdauer zum Handeln. Das hiess für mich meist, Artikel zu schreiben oder ein Projekt zu initiieren und durchzuziehen. So bereitete mir das Älterwerden keine Mühe, ich bemerkte es gar nicht. Erstaunt stellte ich fest, wie ich 70, 75 Jahre alt wurde und nun gegen 80 gehe.

Diese Selbstverständlichkeit bekam einen ersten Riss bei einer Streifung vor knapp zwei Jahren. Die damit verbundene Sprachstörung war ein Schock. Erstmals erfuhr ich die Brüchigkeit des Lebens am eigenen Körper. Doch dauerte die Störung gottlob nur kurz. Zudem sah ich im Spital, dass es auch jüngere Menschen treffen kann. Mehr eingeschränkt worden war ich durch die lange «Grippe» nach der zweiten Covid-Impfung. Und letzten Winter hatte mich eine Covid-Infektion erneut mehr als zehn Wochen arg mitgenommen und geschwächt. Es dauerte erneut Monate, bis ich mich einigermassen erholt hatte. Trotzdem fühlte ich mich noch immer nicht alt.

Dies änderte sich unerwartet, als mir kürzlich ein früheres Foto vor Augen kam. Wie jung ich doch vor 20 Jahren noch aussah! Fast gleichzeitig erzählte ich an einer Redaktionssitzung von Luzern60plus, es störe mich, wenn ich mit diesem speziellen, leicht besorgten Ton wie eine nicht mehr ganz fitte alte Frau behandelt werde. «Aber das bist du ja auch», lachten die KollegInnen. Erst jetzt wurde mir in Verbindung mit den schwindenden Kräften bewusst: Ich bin im Alter angekommen.

Mitgehen im Prozess des Alterns
Seither stelle ich mir immer häufiger die Frage: Was ist mir noch wichtig? Was will ich noch? Auf einer Ferienreise mit Distanz zum Alltag wurden diese Fragen deutlicher. Das Interesse an der Welt habe ich keineswegs verloren. Doch kann, will und mag ich nicht mehr überall dabei sein. Wird es mir bei meiner nach wie vor ungetrübten Neugier gelingen, nicht sofort auf ein Thema, das mir wichtig ist, aufzuspringen - und auch nein zu sagen? Ich bin dran, in mir eine entsprechende innere Barriere aufzubauen und frage mich: Wann ist der Zeitpunkt gekommen, diese oder jene Verpflichtung abzugeben?

Immer wieder fühle ich mich hin- und hergerissen. Es gibt Tage, an denen ich müde und energielos bin und nur noch das Bedürfnis nach Ruhe habe. Am nächsten Tag spüre ich mein altes Kämpferinnenherz als Aktivistin und Macherin, so z.B. am letzten Frauenstreiktag angesichts der vielen jungen Frauen, die sich noch immer für dieselben Anliegen einsetzen wie wir seit Jahrzehnten. Nicht müde werden...

Dranbleiben und loslassen. Bewusst will ich mir mehr Zeit nehmen für Austausch und Zusammensein mit der Familie und Freunden, Zeit für mündliche und schriftliche Kontakte und spontane Besuche von Verwandten, Bekannten und Menschen, die es brauchen wie z.B. MigrantInnen – nicht nur als Journalistin, sondern als Mensch.
Nach wie vor ist mir die Bewegung wichtig, körperlich wie geistig. Geistige Anregungen bekomme ich mehr als genug in meinem privilegierten Umfeld. Seit jeher brauche ich das Gehen oder Wandern, um meine Gedanken zu ordnen und zu mir zu kommen. Doch muss ich mehr tun als früher, um meine körperliche Beweglichkeit zu erhalten. Manchmal habe ich Mühe, die Disziplin dafür aufzubringen. Dann mahnen mich Schmerzen an die nötigen Übungen.
Vermehrt liebe ich es, in alten Sachen, gefüllten Ordnern und Schachteln voller Fotos zu «noschen» und mich in Erinnerungen zu verlieren. Dabei erfüllt mich eine tiefe Dankbarkeit für mein reiches Leben mit Höhen und Tiefen. Dankbarkeit, dass ich den Prozess des Alters mit seinen widersprüchlichen, den schönen und schwierigen Seiten leben und noch aktiv sein darf. Ich habe das grosse Glück, als freie Journalistin einen Beruf zu haben, in dem ich nicht pensioniert werde und bei dem ich mich mit meiner Persönlichkeit und meinen Erfahrungen einbringen kann. Arbeitszeit ist für mich meistens auch Lebenszeit. Ich kann mich Themen widmen, die mir wichtig sind und beim Schreiben ausdrücken, was mich bewegt. Das ist auch im Alter möglich, gemäss dem Gedicht von Rose Ausländer, das mich seit Jahren begleitet:

Noch bist du da
Wirf deine Angst in die Luft
Bald ist deine Zeit um
bald wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume ins Nirgends
Noch duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da
Sei was du bist
Gib was du hast

Wie schön ist es doch, nichts zu müssen und mit dem Blick in die Wolken den Gedanken nachzuhängen.
Wie schön ist es doch, nichts zu müssen und mit dem Blick in die Wolken den Gedanken nachzuhängen.

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