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Immer wieder vorwärtsschauen

Nach einer intensiven Lebensphase als Mutter, Berufsfrau und vielfachem freiwilligem Engagement setzt sich Brigit Evers Diallo, 74, unter anderem mit dem Bau von Schulen für bessere Lebensbedingungen der Menschen in ihrer zweiten Heimat Guinea ein.
Nach einer intensiven Lebensphase als Mutter, Berufsfrau und vielfachem freiwilligem Engagement setzt sich Brigit Evers Diallo, 74, unter anderem mit dem Bau von Schulen für bessere Lebensbedingungen der Menschen in ihrer zweiten Heimat Guinea ein.

Text: Monika Fischer
Portraitfoto: Monika Fischer

Immer wieder vorwärtsschauen
Seit zehn Jahren lebt die dreifache Mutter und sechsfache Grossmutter meistens in Guinea. Dort trägt sie mit ihrem Mann Sadou mit verschiedenen Projekten zur Verbesserung der Lebensgrundlagen der einheimischen Menschen bei. Dazu gehören zwei Schulen, die 250 Kindern kostenlose Schulbildung ermöglichen. Wegen zwei Operationen verbringt Brigit Evers zurzeit mehrere Monate in der Schweiz. In der Reha nach der Rückenoperation erfuhr sie von der GrossmütterRevolution und lernte diese am Stamm in Zürich kennen.

(Fortsetzung)

Bei meinem Besuch in Zürich führt nach dem Ausstieg aus dem Lift eine sehr steile, mit blauem Spannteppich bezogene Treppe hinauf unters Dach. In der gemütlichen Estrichwohnung ist jede Ecke gut ausgenützt. Brigit erzählt, wie sie diese kleine Wohnung mit viel Glück vor 23 Jahren nach dem Auszug aus dem Familienhaus gefunden hat.

Aufgewachsen in der Stadt Zürich und in Neuaffoltern, wollte sie eigentlich Medizin studieren und Psychiaterin werden. Ihr Eltern hatten jedoch das KV für sie vorgesehen. Deshalb musste sie das Gymnasium nach drei Jahren verlassen. Sie erzählt: «Nach einem Ausbildungsjahr in einem Institut in Fribourg schmiss ich schon nach 14 Tagen das KV und besuchte die Arztgehilfinnenschule, was näher bei meinen Berufswünschen lag.» Sie arbeitete insgesamt neun Jahre auf ihrem Beruf, heiratete mit 26 und wurde Mutter von zwei Söhnen und einer Tochter. In Rapperswil, wo die Familie das Grosselternhaus renoviert hatte, engagierte sie sich neben der Familienarbeit vielfältig. Sie setzte sich für das zweite Kindergartenjahr und die Kinderkrippe ein, präsidierte den Elternclub, leitete eine Spielgruppe. Als SOS-Familie bot sie eine Übergangslösung für fremdplatzierte Kinder. Als Mitglied des Schulrats war sie unter anderem für die Integration fremder und schwieriger Kinder zuständig und führte die integrative Schulungsform ein. Nach fast 20 Ehejahren erfuhr sie von der Freundin ihres Mannes. Diesen Vertrauensbruch ertrug sie nicht. Nach dem Auszug ihres Mannes lebte sie sechs Jahre allein mit den Kindern. 1998-2001 absolvierte sie die Schule für Soziale Arbeit in einem Vollzeitstudium und sagt: «Es brachte mich an den Rand meiner Kräfte, doch ich habe es mit Ach und Krach geschafft.»

Aufbruch
Nach dem Abschluss packte sie ihren Rucksack und unternahm alleine eine Reise nach China, besuchte Peking, Shanghai, Hongkong usw.. Das gab ihr nach der Rückkehr die Kraft für die neue Lebensphase. Sie wollte für ihre erwachsenen Kinder nicht länger Hotel Mama sein und zog in die kleine Dachwohnung mit Gartenterrasse in Zürich, wo sie noch heute bei Aufenthalten in der Schweiz wohnt. Beim Umzug lernte sie Sadou Diallo kennen. Spontan half er ihr beim Herauftragen der Möbel; die beiden freundeten sich an und heirateten 2003. Brigit schildert das Spiessrutenlaufen bei den Behörden, war er doch 20 Jahre jünger und kam aus Guinea. Fachleute der Behörden schauten in der Wohnung, ob der junge Mann auch wirklich bei ihr wohne und warnten sie, der Asylbewerber wolle sie doch nur betrügen und ausnützen. Dagegen freuten sie die guten Reaktionen ihrer Kinder: «Mami mach, was für dich stimmt.» Ambivalent reagierte dagegen ihre Mutter, welche die Hochzeitsfeier verliess.

Eine Zeitlang betreute Brigit im Asylwesen die Menschen in verschiedenen Unterkünften, später im Streetwork der Stadt Zürich randständige Menschen und Prostituierte. Sie bildete sich in Casemanagement weiter und übernahm die Fallführung bei der Betreuung schwieriger Familien.

Ihr Mann, der in seiner Heimat nach der Matura ein Jahr Ökonomie und Sozialwissenschaft studiert hatte, absolvierte nach dem Besuch von Deutschkursen eine zweijährige Bürofachschule und stieg bei Ikea bis zum Verkaufsleiter auf. Regelmässig verbrachte das Paar die Ferien in Guinea, wo Brigit von der Familie ihres Mannes gut aufgenommen worden war. Angesichts der schwierigen Lebenssituation der Menschen im Land reifte nach und nach der Entschluss des Paares, dort zu leben und etwas für die Menschen zu tun. Seit 2008 hatten sie sich am Rand der Hauptstadt nach und nach ein Haus gebaut und wollten nach ihrer Pensionierung im April 2014 wegziehen. Während ihr Mann anfangs Januar 2014 bereits ausreiste, blieb Brigit ein weiteres Jahr wegen der Betreuung ihrer dementen Mutter und dem Ausbruch von Ebola in der Schweiz zurück.

Dorfstrasse auf der Halbinsel. Foto: zvg
Dorfstrasse auf der Halbinsel. Foto: zvg

Hoffnung und Entwicklung durch Bildung
Bei Aufenthalten auf der Halbinsel Kokobopundji erfuhr sie, dass die Kinder in diesen Fischerdörfern keine Schule besuchen konnten. Gemäss Auskunft der Behörden fehlte das Geld zum Bau und Unterhalt einer Schule. Brigit schildert die schwierige Situation in dem an sich schönen Land mit allen Klimazonen. Guinea wurde 1958 als erster afrikanischer Staat unabhängig, danach von verschiedenen Diktatoren und seit September 2021 von einer Militärjunta regiert. Sie berichtet von der grossen Arbeitslosigkeit und dem katastrophalen Schul- und Gesundheitssystem. Obwohl offiziell die Schulpflicht gilt, können nur 50-60% der Menschen eine Schule besuchen, da diese auf dem Land teilweise ganz fehlen. «Die Korruption ist riesig, es wird viel versprochen, wenig gemacht, und die Menschen werden zunehmend ärmer. Wer gegen das aktuelle Regime ist, muss fürchten, dass er in der Nacht festgenommen und an einen unbekannten Ort verschleppt wird », hält sie fest.

Sie entschloss sich zu handeln und gemeinsam mit ihrem Mann auf der Halbinsel eine Schule aufzubauen. «Ich musste etwas tun, sah ich doch, dass die Menschen ohne Bildung keine Zukunft haben und leicht manipulierbar sind.» Mit Glück fand sie einen Lehrer mit demselben Ziel, ihr Mann erstellt einen Holzunterstand als Provisorium. Die Möglichkeit zum Schulbesuch sprach sich schnell herum, und innerhalb Monatsfrist fanden sich 25 Kinder zum Unterricht auf Vorschulniveau ein. Brigit erkannte, dass sie auf dem richtigen Weg war, gründete 2016 in der Schweiz einen Verein und baute eine Website auf. Sie erarbeitete ein Projekt für den Bau eines einfachen Schulhauses mit sieben Zimmern, Büro, Bibliothek und Toilettenhaus. Die Einheimischen stellten mit Bestätigung durch die Behörden das benötigte Land zur Verfügung. Über Verwandte und Freunde sowie Gesuche bei Institutionen und Stiftungen brachte sie die benötigten Finanzen zusammen. Im Sommer 2019 war der Bau fertig, und auf Schulbeginn 2019/20 konnte das Schulhaus eingeweiht und der Betrieb mit vorerst 4 Klassen aufgenommen werden. Mittlerweile sind es in beiden Schulen zusammen 12 Klassen.

Einblick in einen Schulraum der Einführungsklasse. Foto: zvg
Einblick in einen Schulraum der Einführungsklasse. Foto: zvg

Es gibt immer eine Lösung
Für Brigit war es kein Anlass, sich zur Ruhe zu setzen, im Gegenteil. Unter dem Namen DYARAMA, einem Begrüssungswort in einer der Sprachen der verschiedenen Volksgruppen im Land mit der französischen Amtssprache, entwickelte sie ihre Projektarbeit weiter. Angesichts der Distanzen auf der langgezogenen Halbinsel ohne jegliche Infrastruktur baute sie in rund 7 km Entfernung eine zweite Schule und zusätzlich wegen der regelmässigen Überschwemmungen einen 325 Meter langen Brückenkomplex über einen Meeresarm und durch den Mangrovensumpf.

Es ist spannend, Brigit zuzuhören, wie sie sich Schritt für Schritt in die Situation der Menschen vor Ort einfühlte und deren Bedürfnissen entsprechend handelte. Motiviert hat sie die Not der Menschen und die Überzeugung: «Die einzige Waffe, die die Welt verändern kann, ist die Bildung.» Das steht als Leitsatz am Schulhaus. «Ich bin halt auch eine Abenteurerin», meint sie lachend und verweist auf ihre positive Lebenseinstellung: «Es gibt immer eine Lösung. Ich arbeite mit Leib und Seele. Zudem sind mein Mann und ich ein super Team. Wir haben zwar unterschiedliche kulturelle Hintergründe, finden jedoch immer gute Kompromisse. Er ist gut im Organisieren des Materials für den Bau, das er auf den Märkten zusammensucht. Ich bin für alles Administrative und die Begleitung und Weiterbildung der Lehrpersonen zuständig. Dabei kann ich auf meine frühere Tätigkeit als Schulrätin zurückgreifen.» Sie erzählt, wie sie zum Besuch ihrer Schulen weite Strecken zu Fuss zurücklegen muss und deshalb hofft, dass dies mit dem operierten Knie und Rücken wieder lange möglich sein wird. Die Qualität und Weiterentwicklung der Schulen ist ihr grösstes Anliegen. Da sie in jeder Schule ein dazu verantwortliches Team aufgebaut hat, blickt sie der Zukunft zuversichtlich entgegen.

Brigit Evers mit den Schulverantwortlichen der beiden Schulen hinten und den Prüfungskandidaten vorne, sitzend rechts ihr Mann Sadou Diallo. Foto: zvg
Brigit Evers mit den Schulverantwortlichen der beiden Schulen hinten und den Prüfungskandidaten vorne, sitzend rechts ihr Mann Sadou Diallo. Foto: zvg

Wenn sich eine Türe schliesst, öffnet sich eine andere
«Es gäbe so viel zu tun im Hinblick auf ein gutes Leben für die Menschen hier. Guinea ist leider kein Zielland für grössere Hilfswerke», hält sie fest. Sie arbeitet auch mit andern NGOs zusammen, engagiert sich unter anderem in der Gesundheitsversorgung ihrer Schulkinder, in der Abfallentsorgung, in den Themen Verhütung und Beschneidungen der Mädchen, die noch immer praktiziert und von den Frauen gefeiert werden. «Was wir machen, ist nicht mehr als ein Tropfen auf einen heissen Stein. Wir müssen immer wieder abstreichen und uns nach der Decke strecken. Es ist schwierig, nicht allen helfen zu können.»

Trotzdem verliert sie Mut und Hoffnung nicht, im Gegenteil hat sie immer wieder neue Ideen. Wo findet sie Erholung? Die Frage schein ihr fremd zu sein. Sie geniesse ruhige Stunden in der Hängematte unter Palmen, und die Dankbarkeit der Menschen motiviere sie immer von neuem, meint sie schliesslich.

Diese total andere Welt, in der sie sich zudem gut vor Malaria schützen muss, ist zu ihrem zweiten Zuhause geworden. Während der langen Schulferien in der Regenzeit kehrt sie für ein paar Wochen in die Schweiz zurück, wo sie Mühe hat mit all dem Überfluss. Doch geniesst sie dann das Zusammensein mit der Familie, mit den Kindern und Enkelkindern, mit denen sie die restliche Zeit übers Netz – wenn es funktioniert - den Kontakt pflegen kann.

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