Text: Bernadette Kurmann
Nach einem Tag der Betreuung unserer Enkelkinder (4 und 1 Jahr) sind wir allemal glücklich, aber auch hundemüde. Wir wissen, was es heisst, stundenlang die kleinen Knirpse im Auge zu behalten, ihre Windeln zu wechseln, dafür zu sorgen, dass sie genug gegessen und geschlafen haben, ihnen Büchlein vorzulesen und mit ihnen zu spielen… Um unsere Töchter und Schwiegersöhne zu entlasten, die den Spagat zwischen Arbeit und Kindern leben, machen wir das gerne.
(Fortsetzung)
Wie finden wir es süss, wenn wir in Parks Kita-Gruppen spazieren sehen. Die kleinen Kinder sind so drollig, wenn sie in der Kolonne an uns vorbei marschieren oder in Kinderwägen von den Kita-Frauen gestossen werden. Und allemal denke ich: „Hei, welch enorme Vorarbeit die meist jungen Frauen heute schon geleistet haben!“ Kinder zusammen trommeln, Windeln wechseln, Kinder hochheben, motivieren, trösten, den Wutausbruch abwarten, Nahrung einpacken, im Winter warme Kleidung anziehen: Socken, Schuhe, Handschuhe, Kappen… - und das gleich gegen ein Dutzend Mal.
Viel Verantwortung…
Ich kann mir die Arbeit kaum vorstellen, bis die Kindergruppe nur schon bereit ist, um das Haus verlassen zu können. Ich kann auch ihre Verantwortung kaum abmessen. Wie anspruchsvoll ist es, die vielen Kinder dauernd im Auge zu behalten und zu überwachen. Wehe, es ginge eines der Kleinen verloren! Denn auch ausserhaus ist die Betreuung eine Mammutaufgabe: spielen, trösten, ablenken, ermutigen, dafür sorgen, dass es weitergeht… Ich bewundere sie, wie sie mit einem Lächeln im Gesicht ihrer Herkulesarbeit nachgehen. Meine Bewunderung braucht nicht die Heldentat der jungen Kita-Frau, die kürzlich todesmutig „ihre Kinder“ vor der Irrsinnstat eines Messerstechers verteidigt hat. Für mich sind Kita-Frauen schon lange Heldinnen des Alltags.
… schlecht bezahlt
Aber diese unglaublich wichtige und beschwerliche Arbeit wird kaum wahrgenommen, geschweige denn entsprechend honoriert. Die Kita-Frauen gehören zu den am schlechtesten bezahlten Berufsgruppen in der Schweiz. Kein Wunder, müssen heute Kitas schliessen, weil sie nicht genügend Personal finden. Damit sind die Übriggebliebenen dermassen überlastet, so dass das noch arbeitsfähige Personal ebenfalls krank wird.
Kitas sind systemrelevant
Kitas sind heute nicht mehr wegzudenken. In der Politik heisst das, „Kitas seien systemrelevant“. Das bedeutet, unsere Wirtschaft, ja die Gesellschaft würden zusammenbrechen, wenn es die Kita-Institutionen – sprich die Kita-Frauen – nicht gäbe. Ihre Arbeit ist demnach gleichzustellen mit Berufen im Spitalwesen oder in der Wirtschaft. Nur, abgegolten wird sie schäbig.
Stellen wir uns einmal vor, es gäbe keine Kitas mehr. Die Arbeitswelt würde zusammenbrechen, weil all die Eltern ihren Berufen nicht mehr nachgehen könnten: Ärzte, Pflegepersonal, Lehrerinnen und Lehrer, Programmierer, Banker… All diese Arbeitskräfte würden hochprozentig ausfallen, weil sie ja daheim ihre Kinder betreuen würden. Die Wirtschaft wäre kaum mehr funktionsfähig.
Wie war das vor 40 Jahren?
Mein Mann und ich haben vor vierzig Jahren bei der Kindererziehung folgendes Modell gelebt: Wir hatten sogenannte Lehrtöchter (das gibt es so heute nicht mehr), die mit uns im Haus lebten und eine Haushaltslehre absolvierten. Sie ermöglichten mir als Frau, an drei Halbtagen einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Mein Mann war damals ein Pionier, weil er an einem Tag in der Woche (an dem die Lehrtöchter die Schule besuchten) die Kinder betreute. Dafür war der Samstag für ihn ein Arbeitstag. So kam die „Hausfrau“ auf 50 Prozent Berufsarbeit. Ein Balanceakt schon damals.
Reden um den heissen Brei
Wir setzten uns mit viel Engagement und Initiative ein für einen Mittagstisch, wir kämpften für einen Kinderhort. Ich dachte mir, das sei ein Anfang. Wie habe ich mich getäuscht. Eine gewisse Verbesserung hat es gegeben. Es gibt sie, gute Kitas, aber sie sind bedroht unter dem Arbeitskräftemangel und wegen der schlechten Bezahlung dieser Mammutaufgabe.
Und die Politik laviert herum, sie redet um den heissen Brei und schiebt „die systemrelevante Aufgabe“ hin und her zwischen Bund und den Kantonen. Niemand fühlt sich verantwortlich, und alle fürchten sich vor den Kosten. Was habe ich kürzlich (sinngemäss) in der Zeitung gelesen? Die Menschen in der Schweiz hätten das Gefühl, die Schweiz habe Geld für alles: Autobahnen, Zugausbauten, Atomkraftwerke und und und. Nur für die Kinder fehle das Geld.
Wo bleibt die Politik?
Ich frage mich manchmal, ob all die National- und Ständeräte, die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte je einen Tag mit einem Kind verbracht haben? Wenn ich sehe, mit wie wenig Engagement und Ernsthaftigkeit sie die Frage der Kinderbetreuung angehen, dann bezweifle ich das.
Betreuungsarbeit, sei es diejenige für Kinder oder alte Menschen, gehört seit Jahrhunderten zu den Aufgaben der Frauen, und sie war vermeintlich immer kostenlos. Das Bewusstsein, dass Betreuungsarbeit im wahrsten Sinn des Wortes wertvolle Arbeit für unsere Gesellschaft ist, das scheint in der aktuellen Schweizerpolitik nicht vorhanden zu sein.
Neulich sagte ich zu meinem Mann, als wieder einmal eine so schnüselige und arbeitsintensive Kindergruppe an uns vorbeizog: „Es ist einfach unglaublich, wie wenig wichtig uns die Kinder sind, dabei sind sie das grösste Gut, das wir als Gesellschaft haben. Sie sind unsere Zukunft, und wir sollten ihnen Sorge tragen.“ Mein Mann: „Ja, gell, es hat sich in vierzig Jahren wenig verändert.“
Das ist beschämend.
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