Telsche Keese
1971 lebte ich in Zürich, war verheiratete Mutter eines Kindes und hatte einen Abendteilzeitjob als Fachlehrerin für Französisch und Englisch. Ich verdiente mein eigenes Geld und war neu in der Stadt. So konnte ich nur auf meinen Mann zählen, wenn ich abends weggehen wollte. Er war allerdings nicht immer zuverlässig, und Handys gab es nicht, um sich kurz eine Nachricht zu schicken. Bis heute habe ich deshalb nicht vergessen, dass ich einmal den Schlüssel im Schloss zur Wohnung umdrehte und fortging, obwohl unsere Tochter im Bettchen jämmerlich weinte. Ich riskierte es, ich musste meinen Bus erreichen und hatte nicht den Mut, meine Nachbarin merken zu lassen, dass ich ausserhause arbeitete.
(Fortsetzung)
An eine eigenständige Berufstätigkeit verschwendete ich keinen einzigen Gedanken, ich verbot ihn mir, liess ihn gar nicht erst aufkommen, obwohl ich grosse Freude am Unterrichten hatte und motivierende Resonanz bei den Schülern dazu. Die Zuständigkeiten in meiner Ehe waren klar abgegrenzt. Ich wusste genau, wo mein Platz zu sein hatte: im Haushalt bei meinem Kind. So verhielt ich mich und passte mich brav an. Es entsprach meiner Erziehung und der damaligen gesellschaftlichen Erwartung. Mein Mann verstand sich in seiner Rolle genauso selbstverständlich als Hausvorstand und Ernährer der Familie. Er hatte die bessere Ausbildung und würde später mehr Geld verdienen als ich. Deshalb tat ich alles, um ihm den Rücken frei zu halten. Er verliess mich morgens karrierebewusst, dann sah ich ihn bis abends nicht wieder.
Kreativ und tatkräftig
So hielt ich es bis zur Geburt des dritten Kindes, dann zogen wir aufs Land in die Nähe Berns. Welch ein Unterschied: In Zürich konnte die 4 ½-jährige schon den Kindergarten besuchen. Hier nicht mehr, es gab weder eine Spielgruppe für den Dreijährigen, noch eine Krabbelgruppe fürs Baby und schon gar keinen Elternverein. Ich hatte kein Auto und konnte nur auf die spärlichen Postbusverbindungen zählen. Ich war Köchin, Kindergärtnerin, Entertainerin: Mutter in Vollzeit. Nie wieder war ich so kreativ und tatkräftig wie damals. Ich half, den Elternverein ins Leben zu rufen, eine Ludothek zu gründen und richtete gegen den Widerstand der Hausverwaltung eine kleine Spielgruppe in einem Kellerraum ein. Dort hüteten wir Frauen gegenseitig unsere Kinder. Männer leisteten Fronarbeit für einen neuen Kindergartenpavillon.
Es war eine grosse Herausforderung, die Kinder täglich zu beschäftigen, ohne sie einmal abgeben zu können. Geburtstage gestaltete ich deshalb mit einer grossen Kinderschar aus der Nachbarschaft zu kleinen Höhepunkten mit Sackhüpfen, Schnitzeljagden und Verkleiden. Not macht erfinderisch. Einmal wagte auch einen öffentlichen Anlass im Schulhaus zum Maskenbasteln mit Schuhkartons und roten Plastiknetzen von Orangen. Wir waren eine teuflische Gruppe beim Umzug im Dorf. Ich arbeitete 12 Jahre lang «nur» zu Hause.
Berufsarbeit am Abend
Erst als alle drei Kinder in die Schule gingen, wollte ich unbedingt meine Unterrichtstätigkeit wieder aufnehmen. Das grösste Hindernis waren die unterschiedlichen Schulzeiten und die Mittagsmahlzeit als «heilige Zeit», zu der die Kinder heimkamen. Mein Mann ermunterte mich, nun an die öffentliche Schule zu gehen, machte aber auch klar, dass sein Zeitanspruch unanfechtbar sei. Also blieb ich bei meiner Überzeugung, dass Abendunterricht mit meiner Familiensituation am besten zu vereinbaren war. Eine Arbeit an der öffentlichen Schule hätte meine Organisationsfähigkeit überfordert.
Ich stellte mir Unterrichtspensen bis zu 18 Lektionen in der Woche zusammen. Ich jonglierte hin und her: mal ein Jahr am Lehrerinnenseminar in Bern, mal Sportwochenvertretungen, aber hauptsächlich unterrichtete ich an der Volkshochschule VHS in Bern. An Wochenenden besuchte ich Fortbildungen. Wenn ich abends das Haus verliess, war ich immer «in high spirits», so freute ich mich auf die Abwechslung. Bis zur Pensionierung blieb ich teilzeitbeschäftigt, denn ich war zu wenig emanzipiert, um aufzumucken. Mein Mann ging vor, schliesslich war er meine leibhaftige Altersversicherung.
Das Hauptproblem ist geblieben
Die Zeiten haben sich seit den 70er Jahren unglaublich schnell verändert. Es ist selbstverständlicher geworden, dass auch Familienfrauen einer Erwerbsarbeit nachgehen. Die Wirtschaft hat endlich erkannt, welche Ressource sie lange unbeachtet liess. Allerdings ist das Hauptproblem trotz Kitas und Betreuungsmöglichkeiten geblieben: «Wie bringe ich als Frau Kinder- und Berufsarbeit unter einen Hut»? Kinder zu haben bedeutet für ihre Lebensgestaltung eine entscheidende Zäsur und fordert von ihr in erster Linie eine weitreichende Entscheidung. Ein Männerleben bleibt dagegen weitgehend autonom. Viele junge Väter sind heute williger, im Haushalt mitzuhelfen. Aber ist es nicht so, dass es in vielen Situationen doch die Frau ist, auf der Familienkarte sitzen bleibt?
Kinder und Beruf
Meine Töchter gehören nicht mehr zur jüngsten Generation, aber sie wollten selbstverständlich beides: Kinder und Beruf, genauso unangefochten wie ein Mann sich immer Beruf und gleichzeitig eine Familie wünscht. Meine Kinder fanden unterschiedliche Lösungen: Meine Schwiegertochter arbeitet 100 Prozent, und mein Sohn kümmert sich um die Kinder und den gemeinsamen Haushalt. Unsere ältere Tochter blieb wenige Jahre ganz zu Hause, profitierte dann von Kindereinrichtungen und steigerte ihr Pensum als Lehrerin stetig bis zur Vollzeit. Die Jüngere gab ihre Kinder in die Kita, später für den Mittagstisch zu einer Frau. Sie selbst arbeitet 40 Prozent. Ihr Ehemann kümmert sich mit um die Kindererziehung und kocht an Wochenenden. Ich stand auf Abruf, wenn sie es brauchten.
Die Bedingungen aushandeln
Inzwischen sind Frauen freier und selbstbestimmter geworden, sie äussern ihre Wünsche entschiedener, und viele sind bereit, ihre Bedingungen auch auszuhandeln. Annina Reusser, eine 27jährige Studentin vom Generationentandem in Thun, setzt sich mit der Vereinbarkeitsfrage am Übergang ins Berufsleben auseinander und sagt unter anderem: «Die Optionen sind nicht gerade rosig. Den Beruf aufgeben und mich hauptverantwortlich um Heim und Kinder kümmern, kommt nicht in Frage. Erstens ist das sowieso nicht Teil meines Lebensplans, zweitens wäre das volkswirtschaftlich betrachtet eine Verschwendung aller Ressourcen, die je in meine Ausbildung geflossen sind, drittens würde das heissen, eine ganze Familie mit nur einem Einkommen durchzubringen und alle in die Abhängigkeit des Ernährers zu versetzen. Ich habe also die Wahl zwischen einem kinderlosen Leben oder einer immensen Doppelbelastung. Denn selbst wenn ich eine gleichberechtigte Familienstruktur anstrebte, stecke ich in all den gesellschaftlichen Strukturen, die L. Scott in «Das weibliche Kapital» als Gründe für die tiefe Fertilität angibt und die wir alle kennen, ungenügende und teure externe Kinderbetreuung, Vorbehalte von Arbeitgebern beim Einstellen und Fördern junger Frauen wegen potenzieller Mutterschaft, Abstrafung von Müttern beim Lohn und bei Beförderungen.»
Meine 21jährige Enkelin sagt offen: «Wenn ich heiraten sollte, will ich sicher auch arbeiten, dann brauche ich professionell geführte Kitas, und es kommt nur ein Mann in Frage, der sich in häuslichen Belangen partnerschaftlich engagiert und mitdenkt.»
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