Monika Fischer
Ab dem 1. Oktober 2022 geht die GrossmütterRevolution nach 12 Jahren als Projekt des Migros-Kulturprozentes als eigenständiger Verein weiter. Die reformierte Theologin Rosmarie Brunner (64) hat gemeinsam mit Veronika Bosshard, Maya Eigenmann, Ursula Popp und Elisabeth Bauer als professionelle Beraterin die neuen Vereinsstrukturen mit viel Engagement aufgebaut. «Ich möchte einmal Grossmutter werden», hatte sie als Fünfjährige auf die Frage nach ihrem Berufswunsch geantwortet. Was sie damit meinte, erkannte die «angeschmuste Grossmutter» von sechs Enkelkindern erst viel später.
(Fortsetzung)
Begeistert erzählt sie vom AHV-Fest in Frühling mit ihrer angeschmusten Familie mit drei Töchtern, sechs Enkelkindern und Freunden im eigenen Garten und meint: «Die drei Töchter meines Mannes sind ein grosses Geschenk für mich. Es berührt mich immer wieder, dass wir einander so gernhaben.» Es ist ihr bewusst, dass dies wie anderes in ihrem Leben nicht selbstverständlich ist. «Ich bin so glücklich und stolz, dass ich dieses Alter erreicht habe.» Sie verwende den Begriff «stolz» sonst nicht gerne. Doch hier mache sie es bewusst und erklärt: «Ich verstehe es nicht als Leistung. Vielmehr hat es mit meiner Lebensgeschichte zu tun und ist ein Geschenk.»
Schmerz und Freude
Rosmarie Brunner kam unehelich als Mangelgeburt mit 2,1 kg zur Welt. «Meine Mutter hat sich eingeschnürt, weil niemand ihre ,Schande’ sehen sollte und hat mich nach der Geburt weggegeben. Ich kam zu Pflegeeltern, die später meine Adoptiveltern wurden. Da ich mit unendlicher Traurigkeit geboren wurde, ist es ist nicht selbstverständlich, dass ich und heute so vergnügt aus der Wäsche schaue.» Mit 60 durfte sie in Münchenstein, wo sie mit einer älteren Schwester aufgewachsen ist, eine Beerdigung halten. «Ich spürte den Schmerz an diesem Ort meiner Kindheit – und gleichzeitig kam wie eine Welle von Stolz über mich, dass ich an diesem Ort vorne stehen durfte.» Sie berichtet von ihren normalen Pflegeeltern mit dem einzigen Makel, «dass sie mir erst, als ich neun war, erzählten, dass ich nicht ihr leibliches Kind bin. Es war neun Jahre zu spät. Diese frühen Erfahrungen machen viel von meiner Persönlichkeit aus. Wer nach dem Fall ins Bodenlose bei der Geburt überlebt, kann vieles überstehen. Dies gibt auch Freiheit.»
Andere durchs Dunkel begleiten
Warum hat sie ausgerechnet Theologie studiert? Mit Hinweis auf eine tiefere Ebene erzählt sie von ihrem Berufswunsch mit fünf, sie wolle Grossmutter werden. Ihre Mutter wies sie darauf hin, dann müsse sie zuerst Mami werden. Rosmarie wusste schon damals, dass sie es nicht so meinte. Was dahinter lag, wurde ihr anlässlich das Referates von Ingrid Riedel an der Frühsommertagung der GmR im Schwarzenberg beim folgenden Satz erneut und klar bewusst: «Grossmütter sind Frauen, die andere durchs Dunkel begleiten.» Sie merkte: «Deshalb bin ich Pfarrerin geworden. Es ist die Übersetzung des unermesslichen Leids am Lebensanfang in eine fruchtbare Wirklichkeit.»
Von der Mitte an die Ränder
25 Jahre war sie reformierte Pfarrerin in Liestal. Während eines Sabbaticals im Pfarramt besuchte sie, die schon immer Clown werden wollte, einen Clownkurs und gründete danach mit vier Freundinnen die «Sensibellas», der sie bis 2021 angehörte. Sie lacht: «Es geht um etwas Tieferes: Man muss sich ernstnehmen, aber nicht zu ernst. Das gilt auch für alte Frauen. Es ist wichtig, auch über gewisse Dinge wie z.B. Altersflecken lachen zu können, frau kann auch mit einem Hängebusen glücklich sein. Der Humor ist eine der Ressourcen, die dazu beigetragen haben, dass ich ein vergnügtes Wesen bin.» Möglicherweise habe sie ihr Wesen vom leiblichen Vater. Sie war um Mitte 30, als sie ihre leiblichen Eltern kennenlernen wollte und Akteneinsicht verlangte. Obwohl die Mutter keinen Kontakt wollte, suchte Rosmarie sie auf. «Es war eine erschütternde Begegnung, doch wollte sie keinen weiteren Austausch. Der Vater hingegen wollte mich kennenlernen, es war eine tolle Begegnung.»
Als Pfarrerin musste sie in der Kirchgemeinde von der Funktion her in der Mitte stehen, was ihr vom Wesen her nicht entsprach. «Dem Gefühl nach gehörte ich an die Ränder. Es war ein ständiger Spagat, den ich nicht mehr weiter machen wollte.» Deshalb machte sie sich im Herbst 2009 selbständig, baute ihr Geschäft als freischaffende Theologin auf und zog ein Jahr später nach Basel. In dieser Zeit starb ihr Adoptivvater, sie lernte Urs im Schlussspurt vor seiner Pensionierung kennen und wurde seine dritte Frau. «Wir erleben das Glück der späten Liebe», freut sie sich.
Wann und wie kamst du zur GrossmütterRevolution? Wo hast du bisher mitgemacht?
Ich hatte von den «Omas gegen rechts» in verschiedenen Ländern gehört. Auf der Suche nach dieser Bewegung stiess ich auf die GrossmütterRevolution und meldete mich für die Frühlingstagung 2019 an. Ich war begeistert, so viele tolle Frauen beieinander zu sehen. Schon meine Adoptivmutter war feministisch unterwegs. Seit der Jugendzeit machte ich in Frauengruppen mit, habe feministische Theologie studiert und Tagungen von Frauen für Frauen organisiert. Im Schwarzenberg habe ich auf die Frage «Was brennt euch unter den Nägeln?» von meinem Anliegen erzählt. Danach war ich 2020 kurz vor dem Lockdown Mitbegründerin des RegioForums Basel, machte beim Nacktkalender mit und engagiere mich in der AG Endlichkeit.
Was war deine erste Reaktion, als du vom Rückzug des MKP hörtest?
Es war schon vor der Matronatssitzung im Herbst 2021 spürbar, dass sich etwas ändern wird. Ich bin Anette sehr dankbar für ihren Einsatz, dass das MKP uns nicht schon während der Pandemie in die Wüste geschickt hat. Wenn es die GmR nicht gäbe, müsste man sie erfinden Deshalb ist mir ihr Weiterbestehen wichtig. Mit dem Wegfall der Finanzen vom MKP und dem Engagement der Projektleiterin fehlen Geld und Bequemlichkeit. Ich sagte mir ganz pragmatisch, dann müssen wir die Sache eben anders anpacken. Für mich war es selbstverständlich, mich für den Weiterbestand der GmR einzusetzen. Es kam für mich zum richtigen Zeitpunkt: Ich habe Zeit und die nötigen Fähigkeiten. Natürlich hoffe ich, dass auch viele andere Frauen ihr Wissen und Können zur Verfügung stellen.
Warum braucht es die GrossmütterRevolution auch weiterhin?
Ich finde es wichtig, dass die alten Frauen in ihren vielfältigen Ausprägungen weiterhin ein Dach haben, unter dem alle Platz haben. Frauen haben andere Lebenserfahrungen und sind anderen Gesetzmässigkeiten unterworfen als Männer. Wir haben zudem nichts zu verlieren, weil wir gesellschaftlich unsichtbar werden, ausser Konkurrenz laufen und als eine Art Hofnärrinnen die Wahrheit sagen können. Dass wir unterschätzt werden, ist eine enorme Chance und gibt Freiheit: Nehmt uns als alte Frauen wahr gleichzeitig mit dem grossen Ganzen. Es ist toll, dass es bei der GmR nicht nur ein Thema, sondern eine vielfältige Themenlandschaft gibt. Einzig menschenverachtende Themen haben bei uns keinen Platz.
Was sind die wesentlichen Veränderungen, die grössten Herausforderungen?
Wichtig ist in dieser Phase das Bild vom geflochtenen Korb nach dem Wegfall des Silbertabletts. Wir gestalten das Gefäss neu, damit die Blumen, bisherige und neue, weiterhin blühen können. Denn wir erfinden nichts Neues. Leuchtturmprojekte bleiben, die Frühlingstagung am 25./26. Mai 2023 im Kloster Kappel ist in Planung. Wir möchten den offenen und niederschwelligen Charakter mit dem hohen Grad an Selbstorganisation beibehalten und auch mit den neuen Strukturen einer demokratischen und transparenten Trägerschaft unkompliziert weitergehen. Allerdings fliesst das Geld für unser Engagement für die Frauen und die Welt nicht mehr automatisch. Es ist deshalb die grösste Herausforderung, Mitglieder/Mitwyber zu finden. Alle sind angesprochen. Mit dem selber gewählten Jahresbeitrag von 9 bis 999 Franken kann jede dabeisein. (Richtbeitrag 99.- pro Jahr, ab 1000.- ist frau Gönner*in). Nun arbeiten wir daran, eine Organisationsform zu finden, die der GmR entspricht. Beim Vorstand und der Geschäftsstelle werden die Fäden zusammenlaufen. Die Richtung jedoch wird von den in Arbeitsgruppen und RegioForen engagierten Frauen bestimmt.
Am 30. September wird in Basel der Verein GrossmütterRevolution (VGmR) gegründet. Was sind deine Erwartungen?
Ich freue mich sehr auf diesen Tag und hoffe, viele Frauen zu sehen, altvertraute und neue. Dass es auf gute Art gelingt, die bisherige Phase zu verabschieden und der Umbau des Projektes in einen Verein Form gewinnt und die wellenförmige Ausbreitung verschiedener Arbeitsgruppen und Regioforen entsprechend einem ins Wasser geworfenen Stein der GmR neuen Schub gibt.
Dein Werbespruch für den Verein GrossmütterRevolution?
«Mit VEREINten Kräften engagiert, energisch und vergnügt»
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