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Gestalte dein Leben im Alter selber

Die Entwicklungspsychologin und eremitierte Professorin der Uni Bern, Pasqualina Perrig-Chiello, las aus ihrem Buch «Own your age» und diskutierte darüber mit dem Gerontologen und Journalisten Beat Bühlmann.
Die Entwicklungspsychologin und eremitierte Professorin der Uni Bern, Pasqualina Perrig-Chiello, las aus ihrem Buch «Own your age» und diskutierte darüber mit dem Gerontologen und Journalisten Beat Bühlmann.

Text und Bild: Monika Fischer

«Wir sind nicht ein Spielball des Schicksals, sondern können sehr viel tun! Wir sind nie zu alt, um uns zu verändern und an uns zu arbeiten», betonte die Referentin. Über 200 Menschen verfolgten die Lesung und das Gespräch im August im Marianischen Saal in Luzern, organisiert von der Fachstelle Alter und Gesundheit der Stadt Luzern im Rahmen der Lebensreise 2024.

(Fortsetzung)

Den englischen Titel ihres Buches «Own your age» habe der Verlag bestimmt, meinte Pasqualina Perrig-Chiello auf die entsprechende Frage. Doch stimme er mit der Aussage «Dein Alter gehört dir, du kannst es selber gestalten» für sie. Es sei wichtig den Clichés und vielen negativen Vorstellungen über das Alter wissenschaftlich fundiert etwas entgegenzusetzen. Das Buch komme einem Bedürfnis vieler Menschen entgegen und sei zudem eine Bilanz ihrer Forschungstätigkeit.

Dies zeigte sich z.B. bei der Lesung über Lebensrückblicke und autobiografisches Schreiben mit zwei Phänomenen. Zum einen berichten alte Menschen mit Vorliebe aus der Jugend, zum andern sind ihre Berichte oft positiv bewertet, was bis zur Glorifizierung und Verklärung der Vergangenheit und gar zur Abwertung des Gegenwärtigen gehen kann. Gemäss der Gedächtnisforschung sind biografische Erinnerungen keine objektive Wiedergabe von Fakten, sondern weitgehend subjektive Rekonstruktionen die je nach Lebensphase anders aussehen können. Diese Rekonstruktionsarbeit vollzieht sich in Verbindung mit dem durch die Vorurteile der Gesellschaft gegenüber alten Menschen ausgelösten Druck.

Sensibilisiert für Lebensübergänge
Ob sie noch Erinnerungen an ihre frühe Kindheit habe, fragte Beat Bühlmann die Autorin. Pasqualina Perrig erzählte von den ersten Lebensjahren in Italien, von ihrer besonderen Beziehung zu ihrem Nonno, der sie jeweils in den Kindergarten begleitet hatte und vom einschneidenden Erlebnis, als sie mit sieben Jahren zu ihrem in der Schweiz arbeitenden Vater ziehen musste. Der Abschied vom geliebten Grossvater, der Wechsel ins fremde Land mit einer fremden Sprache habe in ihr die Empathie geweckt für Menschen, die solche Veränderungen mitmachen müssen. Ebenso wurde sie sensibilisiert für die Thematik der Lebensübergänge, mit denen sie sich beruflich eingehend beschäftigt.

Wie im Buch und im Gespräch zum Ausdruck kam, kann der Übergang in die Pensionierung dann ein Problem werden, wenn sich ein Mensch vor allem über die Rolle im Beruf definiert hat. So könne bei der Pensionierung ebenso wie bei einer Trennung oder beim Tod eines Partners ein grosses Vakuum entstehen. Veränderungen gehörten zum Leben, und doch lösten sie oft Verunsicherung aus. Wie Menschen damit umgehen, sei unter anderem abhängig von der Persönlichkeitsstruktur und den Lebenserfahrungen.

Ein Tiefpunkt kann zu einem Glücksfall werden
Es gelte, inne zu halten, sich den Veränderungen zu stellen, Verantwortung für sich zu übernehmen, Visionen zu entwickeln und offen zu sein für Neues. So könne eine Leidenserfahrung zu einer Quelle der Erneuerung werden. Krisen seien unvermeidlich und erteilten wertvolle Lektionen, indem man Ressourcen erkennen könne. Ein Tiefpunkt im Leben könne zu einem Glücksfall werden. Wohl hätten nicht alle Menschen dieselbe Resilienz, psychische Widerstandsfähigkeit. Diese entwickelten wir oft erst dann, wenn wir durchgeschüttelt und herausgefordert werden.

Pasqualina Perrig-Chiello hob auch die Bedeutung des lebenslangen Lernens hervor und forderte von der Politik mehr Subventionen für die Bildung im Alter: «Die Halbwertzeit des Wissens ist heute sehr kurz. Wir müssen dranbleiben, vor allem auch was die Digitalisierung betrifft, sonst werden wir abgehängt.»

Lebenssinn auch im hohen Alter
Eine erneute grosse Anpassung verlange das hohe Alter ab ca. 80+, wenn Gesundheit und die körperlichen Kräfte abnehmen und Menschen vermehrt auf Hilfe und Pflege angewiesen sind. Doch seien die Menschen nie unterschiedlicher als im hohen Alter. Forschende hätten anhand von 100-Jährigen Kriterien für ein langes gesundes Leben herausgefunden: ausgeprägter Lebenswillen, hohe Zufriedenheit, einfaches Leben in Abgeschiedenheit mit viel Sonnenschein, genügend Bewegung und gesunde Ernährung, gute soziale Verankerung und sinnstiftende Aufgabe. «Man muss einen Grund haben, um am Morgen aufzustehen. Wir brauchen nicht Angst zu haben vor dem hohen Alter.» Mit diesen Worten zeigte sich die Referentin optimistisch und forderte positive Vorbilder eines sinnverfüllten hohen Alters. Wichtig sei, nicht nur ans eigene Wohlbefinden denken, sondern auch an jenes der Kinder, der Enkel und Nachkommen. Sie wehrte sich auch gegen die negativen gesellschaftlichen Einstellungen, es brauche die alten Semester nicht, diese verursachten nur Kosten. Vielmehr betonte sie deren hohen volkswirtschaftlichen Nutzen beim Hüten von Enkelkindern und der Pflege von Angehörigen.

Zur abschliessenden Frage des Moderators, wie sie mir ihren gut 70 Jahren dem Übergang ins hohe Alter gegenüberstehe, meinte Pasqualina Perrig, es beschäftige sie wohl. Deshalb beobachte sie ihre Schwester, die gegen 80 gehe, genau. Sie mache es super und habe sich eben neu verliebt.

Hinweis auf das Buch:
Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello, OWN YOUR AGE, Stark und selbstbestimmt in der zweiten Lebenshälfte. Die Psychologie der Lebensübergänge nutzen, Verlag Beltz

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