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„Das Tanzen ist meine Leidenschaft“

Text und Bilder 1 und 2: Irmgard Bayard

Die grosse Liebe von Regina Ammann gehört dem Tanz. Noch heute gibt sie Kurse, tanzt im Generationenhaus in Bern mit dementen Menschen und spielt liebend gerne Pétanque. Eigentlich verlief ihr Leben in geordneten Bahnen, doch seit drei Jahren hat sich einiges geändert – unerwartet und ungewollt.

(Fortsetzung)

Regina Ammann ist eine schlanke und zierliche Frau. Das Treffen mit ihr findet bei ihr Zuhause in Bern statt, in einem einfach, aber gestylt eingerichteten Esszimmer am Tisch. In einem Regal stehen geordnet CDs mit Musik aus der ganzen Welt. Wir trinken Tee und knabbern Kekse. In dieser Atmosphäre erzählt mir die 73-Jährige von ihrem Leben. „Ich bin als viertes von sechs Kindern in einem kleinen Bauerndorf im deutschsprachigen Freiburg aufgewachsen. Wir waren fünf Mädchen und ein Knabe.“ Es seien sehr enge Verhältnisse gewesen, mit wenig Platz. „Ein Grossonkel wohnte auch mit uns, schlief in unserem Wohnzimmer, was manchmal zu Konflikten führte.“

Einfach, aber mit viel Freiheiten aufgewachsen
„Da unsere Eltern viel arbeiteten, wuchsen wir Kinder mit viel Freiheiten auf, waren zwar nicht gerade verwildert, aber viel draussen, spielten im Wald“, blickt Regina zurück. „Das kam mir als verträumtes Kind sehr entgegen.“ Trotzdem sei sie sehr angepasst gewesen. Als sensibles Mädchen bekam sie sehr früh mit, dass beide Elternteile zeitweise depressiv waren. „Der Vater war durch die strenge Arbeit und Auseinandersetzungen mit dem Grossonkel oft gestresst“, sagt sie. Dass auch die Kinder viel mithalfen, findet sie im Nachhinein gut, vor allem auf dem Feld zu arbeiten, fand sie schön. Als Selbstversorger hatte die Familie immer genug zu essen. Trotzdem schämten sich die Eltern wegen ihrer Armut. „Von zuhause habe ich kein Selbstbewusstsein mitbekommen“, bedauert Regina. Etwas, dass sie prägte.

Gute Schülerin und später Lehrerin
Sehr gerne erinnert sich Regina an ihre Schulzeit, die ersten vier Jahre im kleinen Dorf Salvenach, ab der fünften in der vier Kilometer entfernten Sekundarschule in Murten, wohin sie mit dem Rad fuhr. „Dort haben sich mir neue Welten aufgetan“, sagt sie. Sie war zwar lange die Kleinste und die Schmälste, aber immer die Beste. Dass sie die Sekundarschule besuchen durfte, war nicht selbstverständlich und ihrem Vater zu verdanken, der damit seinen eigenen Traum erfüllte. Schon früh wurde ihr vorausgesagt, dass sie einmal Lehrerin werde. „Zuerst wollte ich das gar nicht, da mein Bild der Lehrerin dasjenige einer alten Jungfer war, ich jedoch heiraten wollte.“ Aber schon bald spürte sie selbst, dass nichts anderes in Frage kam als das Lehrerinnenseminar. Dieses besuchte sie denn auch vier Jahre lang in Freiburg. Wissensvermittlung zog sich schliesslich durch ihr ganzes Leben bis heute.

Überforderung und Depression
Das Lehrerinsein begann jedoch nicht so einfach. „Ich unterrichtete in Kerzers die erste bis dritte Klasse. Es waren 34 Kinder, davon zwei mit geistiger Beeinträchtigung. Das hat mich als junge Lehrerin massiv überfordert.“ Zwar bedeuteten die Lehrpersonen auf dem Lande noch etwas, und die Kinder waren ihr zugewandt. Aber nach einem Jahr stellten sich bei der jungen Frau Depressionen ein, so dass sie ihren Beruf vorerst aufgeben musste. Es folgten neun Monate als Au-pair in England. Zurück in der Schweiz übernahm sie drei Jahre lang in Salvenach, ihrem Geburtsort, Stellvertretungen.

Das Tanzen nimmt immer grösseren Raum ein
Schon früh in ihrer Jugend nahm Regina, deren grösster Wunsch es eigentlich war, Balletttänzerin zu werden, Tanzunterricht, etwas das sie ihr künftiges Leben lang begleitete. „Natürlich war ich immer auf den Tanzbühnen bei Festen in den Dörfern anzutreffen“, sagt sie mit einem Schmunzeln. Sie begann eigentlich mit Jazzdance. Mit 20 Jahren lernte sie an einem privaten Fest ihren zukünftigen Mann kennen. Bald folgte sie ihm nach St. Gallen, wo er für ein Jahr beruflich tätig war. Regina arbeitete dort in der Legasthenie-Therapie, überlegte jedoch was sie künftig beruflich machen könnte. „Ich schwankte zwischen einer Tanzausbildung und der Logopädie, wählte schliesslich die sicherere Variante.“

Logopädin, Familienfrau, Tanzpädagogin
Kurz nach der Ausbildung zur Logopädin an der Uni Freiburg wurde sie 30-jährig schwanger. „Während des Praktikums hat eine Freundin zum Kind geschaut.“ Vorerst arbeitete sie Teilzeit, nach drei Jahren mit dem zweiten Kind, ebenfalls einem Mädchen, war sie ein paar Jahre lang Familienfrau, da ihr Mann voll arbeitete. „Ich haderte immer mit dieser Rollenverteilung“, so Regina. „Da mein Mann als Geschäftsmann angesehener war und für ihn eine Pensenreduktion nicht in Frage kam, schickte ich mich drein.“ Das Tanzen habe sie sich jedoch immer herausgenommen, sei es in Kursen im Sommer oder später als Kursleiterin. Der erste von ihr angebotene Kurs richtete sich an Männer und wurde rege besucht. Ihre Liebe galt und gilt dem modernen und zeitgenössischen Tanz und der Improvisation. So war es für sie selbstverständlich, sich in Bern zur Tanzpädagogin auszubilden zu lassen. „Ich war also immer Selbständigerwerbende und habe mein eigenes Geld verdient“, sagt sie. Auch ihr Mann sei immer stolz auf seine Frau, die Künstlerin, gewesen und habe sie unterstützt. Aber eben, Familienarbeit zu übernehmen, kam für ihn trotzdem nie in Frage.

Regina beteiligte sich an vielen Tanzprojekten, war an der Pädagogischen Hochschule in Fribourg punktuelle Lehrbeauftragte für nonverbale Kommunikation, arbeitete in Schulprojekten wie MUS-E, bei dem unterschiedliche Kunstsparten in den Schulalltag integriert werden, trat mit einer Kollegin als Tanzduo auf und verkehrte früh in Künstlerkreisen. Heute erteilt Regina zwei Kurse in der Woche Improvisation und zeitgenössischen Tanz für Frauen ab 50, bietet Sommerkurse im Nordpiemont an und tanzt wie eingangs erwähnt mit dementen Menschen im Generationenhaus in Bern.

Geliebtes Afrika…
Zu einer weiteren Liebe von Regina gehört Afrika, ein Land, das in einer unschönen Art ihr Schicksal werden sollte. Aber dazu später. Afrika bereisten Regina und ihr Mann schon früh. Mit einem umgebauten VW-Bus besuchten sie Ägypten, den Sudan und Kenja. Auch später bereisten sie mit der Familie dieses Land, nachdem der Ehemann und Vater bereits sein Sabbatical dort verbracht hatte und sie nachkommen liess. „Die Liebe zu diesem Land ist geblieben und hat auch die Töchter angesteckt. Eine davon hat sogar Afrikanistik studiert“, sagt Regina stolz. Mit afrikanischer Musik habe sie sich immer wohl gefühlt und sich viel mit dieser und natürlich auch anderen Stilrichtungen auseinandergesetzt. „Ich bin eigentlich auch eine Art DJane, denn Musik fürs Tanzen ist Teil meiner Arbeit.“

… an das sie ihren Mann verlor

In Afrika, im von ihr so geliebten Land, passierte es dann. Statt nach seiner Pensionierung mehr Zeit mit Regina zu verbringen, wie sie sich das gewünscht hätte, unternahm ihr Mann in Europa und im fernen Kontinent Velotouren. „Auf einer dieser Fahrten lernte er vor vier Jahren eine viel jüngere Afrikanerin kennen und verliebte sich.“ Für Regina folgte eine schwierige Zeit. „Wir haben 49 Jahre lang zusammengelebt, waren 40 Jahre lang verheiratet und hatten eine insgesamt gute, wenn auch bewegte Ehe. Eine Trennung hätte ich mir vielleicht früher vorstellen können, als wir schwierige Zeiten erlebt hatten, unter anderem wegen meinen immer wieder zurückkehrenden Depressionen, aber nicht jetzt.“ Dass Regina noch heute, ein gutes halbes Jahr nach der Scheidung, diese Wendung schmerzt, spürt man. „Aber es geht immer besser.“ Geholfen haben ihr das Umfeld, ihre grosse Selbstständigkeit und ihre weitreichenden Engagements. So zum Beispiel bei der GrossmütterRevolution, bei der sie sich zuerst im RegioForum Bern und nun auch auf nationaler Ebene einsetzt. Sie veranstaltete in Bern und Zürich im öffentlichen Raum Tanzevents zum Jubiläum ‚50-Jahre-Frauenstimmrecht‘ und war fasziniert, wie viele alte Frauen mitmachten. „Ich habe gemerkt, dass es uns alten Frauen braucht und wir in jeder Hinsicht in Bewegung bleiben sollten, das gefällt mir.“ Für sich selbst hat sie zudem Pétanque entdeckt, das sie oft, regelmässig und mit grosse Freude spielt. Ebenso wie sie gerne singt, sich für alles Kulturelle interessiert und ihren Sinn für das Ästhetische pflegt.

Sie bleibt in Bewegung
In Bewegung bleibt Regina Ammann auch im Haus, welches zur Hälfte ihrem Mann gehört, und das sie 35 Jahre lang mit ihm bewohnte. Er ist inzwischen in Afrika zuhause. Zwar ist sie nicht auf dessen abstruse Idee eingegangen, sie während der Zeit, in der er sich in der alten Heimat aufhält als Schweizer Frau zu behalten. Aber Regina wohnt nicht alleine, sondern in einer Wohngemeinschaft mit einem iranischen Migranten. Die kleine Wohnung im zweiten Stock ist ebenso bewohnt, wie das Studio im Untergeschoss. Sie lebt also seit drei Jahren als Single, aber nicht allein. Und mit ihrer Leidenschaft, dem Tanzen, wird sie hoffentlich noch viele Jahre andere Menschen und sich selbst beglücken.

Tanzen ist Reginas Leidenschaft.
Tanzen ist Reginas Leidenschaft.
Regina bei einer der Reisen nach Afrika. (Foto Privatarchiv)
Regina bei einer der Reisen nach Afrika. (Foto Privatarchiv)
Auch im fernen Land war ihr Tanzen wichtig. (Foto Privatarchiv)
Auch im fernen Land war ihr Tanzen wichtig. (Foto Privatarchiv)
Geschlittelt ist Regina schon als Kind gerne und tut es heute noch. (Foto Privatarchiv)
Geschlittelt ist Regina schon als Kind gerne und tut es heute noch. (Foto Privatarchiv)

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