Für das Lernen bin ich Fachfrau. Lange Zeit war ich als Lehrerin auf allen Stufen tätig. Später verfasste ich ein Lehrmittel zu diesem Thema für Schülerinnen und Schüler. Dass man auch im Alter noch etwas Neues lernen kann, weiss ich, weil ich nach der Pensionierung noch anfing, Klavier spielen zu lernen.
Aber das wahre Wunder des Lernens sehe ich bei meinen Enkeln. Der Ältere wird bald sieben Jahre alt und kommt im Sommer in die erste Klasse. Was der alles weiss und was er für einen Wortschatz hat! Mit vier Jahren lehrte er mich ein neues Wort: „Pylon“. Das sind die orange-weissen kegelförmigen Dinger, welche die Baustellen markieren. Ich wusste das nicht. Als in seinem Kindergarten das Thema „Schmetterlinge“ behandelt wurde, wollte er mit uns ins Papillorama in Kerzers. Und er konnte uns dort ganz vieles erklären.
Bei unseren Kindern fiel mir damals das Lernen gar nicht so auf. Eher das Nichtlernen. Die vielen Fehler, die unser Sohn in den Diktaten machte oder das mangelnde mathematische Verständnis der Tochter. Das Lernen passierte eher unbemerkt.
Die wirklichen Wunder des Lernens geschehen in den ersten zwei, drei Lebensjahren. Da hat doch unser kleiner Enkel, der anderthalb Jahre alt ist, im letzten Halbjahr nicht nur Aufstehen, Laufen, Springen und Klatschen und Winken gelernt, sein Wortschatz bewegte sich von null auf etwa 50 Wörter. Er weiss, wer Nana und Neni sind, und ruft: „Uhu!“ wenn er im Bilderbuch einen entdeckt. Das gilt auch für den „Wauwau“ und das „I-A-Tier“. Wenn man ihm sagt: „Tu das in den Abfallkübel!“ oder „Zieh die
Mütze ab!“ dann macht er das. Als ich ihn letzthin nach dem Hüten wieder nach Hause brachte und gleich wieder gehen wollte, sagte er: „Nana ap!“ Und er zog an meiner Jacke und meinte damit, ich solle sie abziehen und noch ein wenig dableiben. Ist das nicht toll? Ich rede aber auch viel mit ihm, singe Kinderlieder und zeige ihm Bilderbücher.
Deshalb stimmt es mich so traurig, wenn ich Mütter oder Väter sehe,
die diese wichtige Phase des wunderbaren Lernens nicht ausnützen.
Letzthin sass eine Mutter mit ihrer etwa zweijährigen Tochter neben mir
im Zug. Ich hatte den Enkel aus dem Wagen genommen, er sass auf meinen
Knien und ich erklärte ihm die Welt, die vor dem Fenster vorbeizog. Das
Mädchen sass die ganze Zeit im Kinderwagen. Wenn es „Mama!“ rief, dann
erhielt es den Schoppen oder ein Guetsli. Die Mutter war mit ihrem Handy
beschäftigt. Während mehr als eine halben Stunde telefonierte sie mit
ihrer Freundin und richtete kein einziges Wort an die Tochter. „Wieder
ein Kind, das möglicherweise Logopädie und Stützunterricht braucht, wenn
es in den Kindergarten kommt!“, dachte ich. Und war total wütend auf
mich, weil ich das der Mutter nicht gesagt habe.
© 2017 Hanna Hinnen
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