Stellen Sie auch fest, dass Sie nicht mehr alles machen können und manches endgültig vorbei ist? Letzthin fragte mich ein Freund, wann wir denn wieder einmal in den Himalaya reisen würden. „Nie mehr, das ist vorbei“, habe ich ihm geantwortet. Für mich ist klar, dass ich die 5000er-Marke nie mehr überschreiten werde. Ich kam schon damals mit 60 an meine Grenzen, heute würde ich mir das nicht mehr zumuten.
Das macht mir nicht viel aus. Es gibt kein tränendes Auge beim Loslassen. Auch diesen Sommer nicht, als wir auf der Terrasse des Ferienhauses sassen und mein Mann feststellte: „Das war so eine schöne Tour auf den Piz Beverin vor fünf Jahren, aber jetzt würde ich mir das nicht mehr zumuten.“
Auch die Frage einer Freundin, ob ich nicht wieder Volleyball spielen möchte, sie hätten zu wenige Frauen bei den Senioren, verneinte ich ohne Trauer. Dabei habe ich mein Leben lang gespielt. Doch in den letzten Jahren musste ich meine Schultern therapeutisch behandeln lassen. Jetzt bin ich froh, dass sie wieder funktionieren und will nichts aufs Spiel setzen.
Ja, unser Körper macht nicht mehr alles mit. Wir sind froh, wenn er einigermassen gesund ist, und wir eine angemessene Beweglichkeit behalten können. Und natürlich freut es mich, wenn mein vierjähriger Enkel meint: “Für so eine alte Frau kannst du aber noch ganz gut klettern!“
Nicht immer liegt das Loslassen am Alter: Mit 25 wollte ich so gerne Fallschirm springen. Ich hatte mich auch schon angemeldet für den Kurs in der Magadinoebene. Einmal so durch die Lüfte schweben, das stellte ich mir damals wunderbar vor. Und dann war ich in jenem Sommer schwanger und bekam im Herbst ein Kind. Später ein zweites und das Fallschirmspringen lag nicht mehr im Bereich des Möglichen. So liess ich los. Ein bisschen neidisch war ich schon, als meine Tochter mir erzählte, sie habe einen Tandemsprung gemacht. Sie meinte, das wäre doch auch etwas für mich. Aber unterdessen habe ich zu viel Angst vor so einem Sprung.
Dinge loslassen kann ich gut. Ich räume lustvoll auf und schmeisse vieles weg. Von den meisten Dingen kann ich mich gut trennen. Na ja, bei Büchern oder Fotoalben habe ich eher Mühe. Dass meine Mutter beim Eintritt ins Altersheim alle alten Fotoalben wegwarf, das tat mir wirklich leid. Ich hätte gerne ein paar Bilder aus ihrer Kinderzeit als Erinnerung behalten.
Das Schwierigste ist wohl, sich von lieben Menschen zu trennen. Und
auch das kommt im Alter öfters vor als früher. Beerdigungen sind
häufiger als Hochzeiten. Die alten Tanten und Onkel, die mit über 90
gestorben sind, kann ich gut loslassen. Aber die Gleichaltrigen, die
Freundlinnen, die nahen Bekannten, das fällt mir schwer. Kompetenzen,
Dinge, ja selbst Träume loszulassen ist lernbar. Menschen loszulassen
ist unsere schwierige Aufgabe.
© Hanna Hinnen
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