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​Früher war alles besser

Stimmt das wirklich? War es nicht einfach anders? Manchmal auch schlechter?

Mein Enkel zum Beispiel geht sehr gerne in die Handarbeit. Sie basteln auch tolle Sachen dort. Sogar zu Hause häkelt er freiwillig lange Verpackungsschnüre.

Das war bei uns ganz anders. Mir ist noch ein Flicksocken in Erinnerung, da musste man Löcher hineinschneiden und mit Maschenstich wieder flicken. In meinem ganzen Leben habe ich nachher keinen gestrickten Socken mit Maschenstich geflickt. Das habe ich also ganz umsonst gelernt. Auch das Überziehen des Kragens von einem Hemd meines Vaters war umsonst. Nicht einmal mein Vater hat das geflickt-verunstaltete Hemd je wieder angezogen.

Dann hatten wir in der vierten Klasse eine Handarbeitslehrerin, das war eine rechte Sadistin. Wir mussten zwar immer am Anfang der Stunde ein Gebet sprechen – ich kann es noch heute auswendig – aber von Nächstenliebe war bei ihr keine Spur. Wir lernten das Häkeln und mussten dabei das Häklein wie einen Bleistift halten. So rutschten mir die Maschen immer vom Häklein, aber wenn ich es mit der Faust hielt, klappte es bestens. Die fromme Handarbeitslehrerin ging mit einem Lineal durchs Zimmer und hieb allen Mädchen, die das Häklein nicht richtig hielten, eins über den Handrücken. Einmal kam ich nach Hause und hatte drei blaue Striemen auf der Hand. Ich zeigte sie meiner Mutter und bat sie, mit der Lehrerin zu reden. „Du musst halt das Häklein richtig halten!“ meinte die Mutter.

Heute würden die Eltern mit einem Anwalt drohen und die Schulpflege informieren. Das wäre dann das andere Extrem und auch nicht viel besser.

Handarbeit macht den meisten Kindern in der heutigen Schule Freude. Sie können ihre Kreativität einsetzen und müssen nicht wie wir damals, zu Hunderten in der Stadt Zürich eine selbst genähte rot-weiss-karierte Schürze tragen, auf der sogar das Kreuzstichmuster vorgegeben war.

Die heutigen Handarbeitslehrerinnen, die ich kenne, lassen den Kindern viel Freiheit. Sie dürfen den Stoff oder das Garn selber auslesen und ihre Werke mitgestalten.

Wir waren in der Unterstufe fast 50 Kinder in der Klasse. Da war ausser Frontalunterricht und Stillarbeit nicht viel anderes angesagt. Wir konnten uns in den engen Bänken auch kaum bewegen. Still dasitzen und Mund halten die Regel. Das ist heute zum Glück meist anders. Mehr Bewegung und mehr Mitgestaltung der Kinder in viel kleineren Klassen sind möglich. Das freut mich für meine Enkel. Der Grosse geht jetzt auch lieber zur Schule. „Wegen den Kollegen und wir haben jetzt eine echt coole Lehrerin!“ meinte er.

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© 2019 Hanna Hinnen

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