Nein, sie habe keinen Wunsch, beteuerte die Enkelin vor dem siebten Geburtstag. «So kannst du später etwas wünschen», versprach ich und fragt mich, ob sie wohl daran denken werde. «Ich weiss jetzt, was ich mir wünsche», verkündete sie schon eine Woche nach ihrem Geburtstag. Ich musste dreimal leer schlucken, als Anna ihren Wunsch äusserte: Einen Sprung mit ihr vom Einmeterbrett.
Ich bin alles andere als eine Wasserratte und auch nicht sehr sportlich. So suchte ich nach allen erdenklichen Ausreden: Ich weiss ja gar nicht, ob ich noch schwimmen kann! Zudem bin ich seit mindesten 45 Jahren nie mehr auf einem Sprungbrett gestanden! Hast du keinen anderen Wunsch?
Das Kind liess nicht locker. Wenn sie sich doch nur ein Buch gewünscht hätte, eine CD, ein Paar Schi – oder gar ein neues Velo! Wie einfach wäre es gewesen, ihr das Gewünschte zu kaufen oder teilweise zu finanzieren! Doch hatte ich nicht stets betont, wie wertvoll immaterielle Geschenke in unserer Konsumgesellschaft seien! Miteinander Zeit zu verbringen bei einem gemeinsamen Ausflug, einem Theater- oder Kinobesuch? Immer wieder schob ich den Entscheid hinaus, bis ich mich überwand, um noch im alten Jahr den speziellen Wunsch zu erfüllen.
In der Badi wollte ich zuerst ausprobieren, ob ich überhaupt noch schwimmen kann. «Es geht ja gut», meinte das Kind. Dann versuchte ich vom Rande aus einen ersten Sprung – und tauchte mit Nase und Ohren voller Wasser wieder auf. Die Enkelin belehrte mich, beim Eintauchen auszuatmen. Nachdem dies gut gelungen war, wagte ich mich aufs Brett. Dieses befand sich zu meinem Entsetzen unmittelbar vor dem Badirestaurant! Ohne Brille sah ich ohnehin nicht klar. Also war es mir egal, ob mich jemand kannte. In die Tiefe schauend, fragte ich nochmals unsicher: «Soll ich wirklich springen?» «Du musst einfach trauen und gehen!», ermutigte mich das Kind.
Es war ein unbeschreibliches Gefühl – der Moment in der Luft, das Ein- und wieder Auftauchen. «Du hast mir mit deinem Wunsch mehr geschenkt, als ich dir geben konnte», sagte ich zu meiner Enkelin.
Sie blickte mich strahlend an.
Stolz marschierte sie an meiner Hand aus der Badi.
© Monika Fischer
Diese Kolumne ist erstmals im Grosseltern-Magazin (Ausgabe September 2014) erschienen.
www.grosseltern-magazin.ch
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