Das Corona-Virus sei für Kinder und für gesunde Menschen vor dem AHV-Alter nicht gefährlich, hiess es. Wie froh war ich über diese Nachricht nach dem ersten Schock über die unerwartete Pandemie.
«Wie können die Enkelkinder bei allen den Schreckensbildern ohne Angst mit dieser neuen Situation und der verordneten Distanz umgehen?», fragte ich mich. Die Tochter hatte dem vierjährigen Sohn erklärt, dass wir einander nicht sehen dürfen, weil sehr viele Menschen krank seien. Er hat dies erstaunlich gut akzeptiert und malt sich aus, was er alles machen möchte, wenn die Menschen wieder gesund sind. Die achtjährige Enkelin machte sich zuerst grosse Sorgen. Ihr Vater erklärte ihr, dass sie jetzt eine ganz besondere Zeit erleben dürfe. Deshalb arbeite er nun zu Hause. Sie beruhigte sich schnell, zumal sie weiterhin mit den direkten Nachbarkindern spielen durfte.
Als sich die Situation eines möglichen Notrechts abzeichnete, kaufte ich rechtzeitig einige kleine Geschenke für die Enkelkinder. So war ich gerüstet, als die Läden und die Schulen geschlossen waren. Jedes Enkelkind bekam persönlich Post. Hefte mit Gedulds- und Rätselspielen die jüngeren, spezielles Briefpapier die Primarschülerinnen, Bücher die älteren Enkelinnen.
Mit Fortschreiten der Krise wollte ich mich nicht dauernd von den negativen Nachrichten lähmen lassen. Ich wollte mich nicht auf den Tod, sondern aufs Leben konzentrieren.
Nun war alles anders. Ich war berührt, wie die Tochter und die Söhne um mich besorgt waren und mir ihre Hilfe anboten. Sie riefen mich regelmässig an und schickten kleine Videos. Das eine zeigte eine der jungen Familien bei ihrem sportlichen Aktivitäten. Ich staunte, wie gut die Enkelin das Rad beherrscht, wie geschickt die Mädchen Tischtennis spielen und Rollerblades fahren. Auf einem anderen zitiert die Kindergärtnerin ein Gedicht und demonstrierte den Parcours, den sie als Bewegungs-Aufgabe regelmässig absolvieren muss. Ein weiteres Video zeigte den jüngsten Enkel beim Velofahren. Er schilderte, wie er es gelernt hatte. «Der Dädi hat mich gehalten und plötzlich losgelassen. Dann konnte ich selber fahren.» Überrascht nahm ich wahr, welche Fortschritte er sprachlich gemacht hatte. Auch, als er von der Ente erzählte, die er an einem Weiher beim Ausbrüten der Eier beobachten konnte. Er geht nun regelmässig nachschauen, ob die jungen Enten schon ausgeschlüpft sind.
Auch Briefe und Zeichnungen trafen ein. Im Familienchat vernahmen wir von der Bitte der Erstklässlerin in ihrem Brief an den Osterhasen: «Lieber Osterhas, Du must Keine angst haben wir haben kein Coronavirus. Hasdu noch Prinzesinen Osterhasen. Ich würde Mich ser Freuien auf dich. Liebe Grüse»
Die zwei ältesten Enkelinnen erzählten über face-time von ihrem strengen Homeschooling-Alltag im Gymnasium: «Wir haben mehr zu tun als sonst, vermissen jedoch unsere Kolleginnen sehr.» Die eine berichtete von der Französisch-Prüfung per Telefon, die andere von ihrem Videovortrag. Die älteste Enkelin grüsste mich aus ihrem Zimmer mit vielen neuen Bildern. Die Dreizehnjährige zeigte, wie sie zusammen mit ihren Freundinnen einen gestreamten Film sehen wird, jede bei sich zuhause am Laptop. Mit der Zwölfjährigen tauschte ich Erfahrungen über das Gärtnern aus.
Auch wenn wir einander nicht direkt begegnen können, erfahren wir in dieser Krisenzeit mehr voneinander als früher im «normalen» Alltag. Es gibt viel Nähe trotz physischer Distanz. Gleichzeitig spüren wir, wie sehr wir einander vermissen. Umso mehr freuen wir uns auf den Tag, wenn wir einander wieder in die Arme schliessen dürfen.
© 2020 Monika Fischer
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