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Das katholische Korsett

Monika Fischer

Der Einfluss der katholischen Kirche auf mein Leben wurde mir bei den Diskussionen rund um 50 Jahre Frauenstimmrecht erneut bewusst. Vorbild war in meinen frühen Jahren das Rollenbild der Frau, die im Dienst des Mannes und der Familie selbstlos für die anderen da ist. Neben der ersten Frau Eva, die als «Sünderin» den Mann verführt und die Menschheit um das Paradies gebracht hat, stand die grosse Heilige, die Gottesmutter Maria, die ihren Sohn «unbefleckt» empfangen hatte. So galt Sexualität als etwas Schmutziges, Geschlechtsverkehr ausserhalb der Ehe als Sünde. Im katholisch-konservativen Umfeld war ein Zusammenleben vor der Ehe undenkbar. Jung und unerfahren heiratete ich 1968 im weissen Kleid.

(Fortsetzung)

Auf die Rolle der Hausfrau wurden wir Mädchen früh vorbereitet. Zum Geburtstag und an Weihnachten schenkte die Patin silberne Löffel, Gabeln und Messer für die künftige Aussteuer. Im Hauswirtschaftsunterricht (damals nur für Mädchen) und später zusätzlich im hauswirtschaftlichen Obligatorium bekamen wir das theoretische und praktische Rüstzeug. Das Kirchenjahr bestimmte den Jahresablauf. Ich empfand es nicht als beengend, im Gegenteil: Feiern wie der Blasiussegen oder das Streuen der Asche auf den Kopf am Aschermittwoch mit dem Spruch «Mensch, denke daran, du bist Staub und wirst wieder zu Staub werden» hatten etwas Mystisches. Die Fastenwochen mit der Vorfreude auf Weihnachten und Ostern machten die Festtage zu Höhepunkten. Ich möchte diese Zeit nicht missen.

Rigide Sexualmoral
Ausgeblendet war dagegen die Sexualität. Das hatte unter anderem zur Folge, dass ich Mitwisserin des sexuellen Missbrauchs meiner Cousine durch ihren Trainer wurde. Allerdings konnte ich mir damals nichts unter dem streng gehüteten Geheimnis vorstellen. Eine rigide Sexualmoral prägte auch die fünf Internatsjahre mit der Ausbildung im Lehrerinnenseminar bei Klosterfrauen sowie das Leben im Elternhaus. «Die Eizelle wartet geduldig und geht nicht auf die Gasse», dozierte die Biologielehrerin. Bei Besuchen meines Freundes zuhause musste ich die Türe einen Spalt weit offenlassen, damit uns die Mutter kontrollieren konnte. Im Elternhaus meines Verlobten war dessen Zimmer für mich tabu. Verliebt wollten wir heirateten, um endlich ungestört beisammen sein zu können. In diesem Sinn war es ein Zwang zur Heirat, obwohl ich nicht schwanger war. Ledig schwanger zu sein galt damals als Schande.

Befreiung
Entsprechend gross war die Enttäuschung nach der Heirat. Für mich ein doppeltes Aufwachen. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich rechtlich unmündig und meinem Mann unterstellt war. Doch wollte ich meine Fähigkeiten einbringen und das Leben im Dorf mitgestalten. Schon ab 1971 konnte ich dies als erste Frau im Kirchenrat, als Lehrerin und als Organistin. Als ich meinen Beruf infolge Lehrerüberfluss nicht mehr ausüben konnte, wurde ich Haushaltlehrmeisterin und unterrichtete meine Lehrtöchter in Theorie und Praxis. Dies gab mir zudem die Möglichkeit, wenigstens zeitweise meinem Zweitberuf als Journalistin nachzugehen.
Mit der 68er-Bewegung begann auch meine persönliche Emanzipation. Die Pille ermöglichte einen freieren Umgang mit der Sexualität. Obwohl diese bis heute gemäss der Lehrmeinung der katholischen Kirche als künstliches Verhütungsmittel verboten ist, hatte ich dabei nie Skrupeln. Hingegen war der Gedanke an eine Scheidung lange undenkbar. Bis der innere Druck für mich infolge unserer unterschiedlichen Wertehaltungen und Lebensplänen zu gross wurde und wir den Schritt machten. Für mich war es eine Frage der Verantwortung mir und den fünf Kindern gegenüber, glaubwürdig zu leben. Nun bekam ich die Doppelbödigkeit im katholisch-konservativen Umfeld so richtig zu spüren. «Heute muss man doch nicht mehr scheiden, kann das Gesicht gegen aussen wahren und sich arrangieren», bekam ich zu hören. «In 95% aller Scheidungen sind die Frauen Schuld, weil sie sich nicht an den Mann anpassen können», wurde mir ins Gesicht gesagt.

Wir sind Kirche
Diese Erfahrungen verletzten. Ich wurde ganz auf mich zurückgeworfen, auf das, was für mich richtig und wichtig war. Es gab aber auch Verständnis und Unterstützung, auch aus dem kirchlichen Umfeld und bei meiner Arbeit im Redaktionsteam der Zeitschrift des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes SKF. Die Leitbilder und Positionen des Verbandes «Für eine gerechte Zukunft» oder «Im Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung» entsprachen meiner Vorstellung eines christlichen Lebens. In der Kaderschulung 2002 ermunterte uns die Theologin Li Hangartner, die patriarchalen Deutungsmuster hinter uns zu lassen und Kirche selber zu definieren. Nur so werde das neue Selbstverständnis «Wir Frauen sind Kirche» Wirklichkeit. Es gelte, sich selber zu ermächtigen, geltende Strukturen zu hinterfragen und Freiräume innerhalb der Kirche im Sinne des Evangeliums zu nutzen. Der SKF gilt bis heute als eine der profiliertesten kirchlichen Basisstimmen, der mit seinen eigenständigen Meinungen oft aneckt. So spricht sich z.B. der Verbandsvorstand aktuell wie bereits 2001 für die Ehe für alle aus.
Immer wieder bin ich Vertreterinnen und Vertretern der Kirche begegnet, die an der Basis wertvolle Arbeit für bedürftige, randständige, kranke, geflüchtete, fremde Menschen verschiedener Kulturen und Religionen leisten. Die sich nicht scheuen, für eine intakte Mitwelt und Lebensgrundlagen für alle mutig auch politisch Stellung beziehen wie z.B. kürzlich gegen die Konzerninitiative. Auch bei den Trauungen der Kinder, bei Taufen und Erstkommunion der Enkelkinder habe ich eine offene Kirche erfahren. Es waren eindrückliche Feiern, die ein grundlegendes Vertrauen ins Leben vermittelten.

Helvetia predigt
Heute haben die Kirchen zunehmend weniger Bedeutung. Denn trotz Veränderungen ist vieles gleichgeblieben. Dazu gehören die Machtstrukturen der katholischen Männerkirche, die immer wieder mit menschenverachtenden Botschaften von sich reden machen, Menschen enttäuschen und verletzen. Viele Frauen und Männer treten aus, weil sie diese starre Haltung nicht mehr verantworten können. Mehrmals war ich nahe daran, den Schritt auch zu machen. Und doch bin ich geblieben. Zur Unterstützung jener Menschen, die sich trotz Enttäuschungen für ein gutes Leben für alle einsetzen. Dazu gehören viele Frauen, Theologinnen und Laien, die unermüdlich für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung kämpfen. Zum Beispiel mit ihrem eindrucksvollen Auftritt am Frauenstreik 2019 mit dem lila Knopf «Gleichberechtigung. Punkt. Amen».
Dieses Jahr rufen die Kirchenfrauen der Schweiz mit der ökumenischen Aktion «Helvetia predigt!» die Kirchgemeinden und Pfarreien dazu auf, die Sonntagspredigt am 1. August 2021 Frauen zu übertragen. Im ganzen Land sollen im Jubiläumsjahr zum Frauenstimmrecht am 1. August Frauen dort zu Wort kommen, wo noch immer überwiegend Männer stehen. Sie tragen dazu bei, «Das katholische Korsett», wie ein Film zum Frauenstimmrecht heisst, zu sprengen und die Kirche fürs Leben zu öffnen.

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