Bernadette Kurmann
Vor ungefähr zwei Jahren verkündigte ich innerhalb meiner Familie und meines Freundeskreises: «Mein Mann und ich haben entschieden, unser Familienhaus zu verlassen und in eine Wohnung zu ziehen. Das Haus ist zu gross geworden, wir wollen uns auf das Alter vorbereiten.» Die heftigste Reaktion kam vom engeren Familienkreis: «Das kannst du nicht tun, wo werden wir in Zukunft Weihnachten feiern?» Oder: «Ihr seid doch noch viel zu jung, ihr könnt locker noch warten.»
(Fortsetzung)
Die zweitheftigste Reaktion kam von Freunden, die sich in einer ähnlichen Lage befanden wie wir. Sie stoppten uns wahrscheinlich aus dem Grund, weil sie dann auch an ihre eigene Situation hätten denken müssen. Weil sie dazu nicht bereit waren, fanden sie unsere Idee abwegig. Mein Mann äusserte mehr Bedenken als ich, also setzten die Freunde bei ihm an. «Für einen solchen Schritt müssen beide Parteien überzeugt sein», belehrten sie mich.
Positiv wurde unser Umzugs von den eigenen Kindern aufgenommen. Sie fanden unseren Schritt mutig, aber auch richtig. Sie ermunterten uns sehr. Unterstützt wurden wir von Freundinnen, die den gleichen Schritt schon vollzogen hatten. Sie sprachen von einem guten Entscheid, der ihnen eine grosse Freiheit ermöglicht habe.
Auseinandersetzung mit dem Tod
Ich hatte mir den grossen Schritt nie einfach vorgestellt. Aber als ich im grossen Estrich anfing zu räumen, die vielen Kindersachen antraf, musste ich weinen: Da waren so viele Erinnerungen, die geweckt wurden! Plötzlich realisierte ich, dass mit dem Wohnungswechsel viel mehr verbunden war. Tief in mir spürte ich, dass ein Grossteil meines Lebens nun unwiederbringlich abgelaufen war. Das Verlassen des Familienhauses ging mit einer Auseinandersetzung mit den letzten Dingen einher: mit Alter und Tod. Ich spürte, dass ich nicht ewig leben würde.
Eine Frage der Autonomie
Zuerst war mein Mann wenig überzeugt von der Veränderung, die wir anpeilen sollten. Er brauchte Zeit. Ich drängte: «Es kann doch nicht sein, dass wir bisher alles gemeinsam gemacht und entschieden haben, aber beim letzten Schritt schlagen wir verschiedene Wege ein.» Ich argumentierte rational: «Wenn wir autonom entscheiden wollen und bis ins hohe Alter selbstständig leben wollen, dann ist ein Umzug der einzig richtige Weg.» Er entgegnete, unser Haus sei ideal auch fürs Alter. Wir könnten noch lange hier bleiben. So ging es eine Zeit lang hin und her zwischen uns, bis mein Mann schliesslich auch überzeugt war: «Der Umzug zum jetzigen Zeitpunkt ist richtig.»
Immer wieder Abschied nehmen
Keines der Kinder konnte das Haus übernehmen: Die eine Tochter war schon an einem weiter entfernten Ort eingerichtet, die zweite bevorzugte urbanes Wohnen, die Dritte war noch nicht so weit, überhaupt an einen Hauskauf zu denken. Ein Hausverkauf war angesagt. Den tätigten wir gemeinsam. Die Erfahrung war hart, aber festigte uns in unserem Vorhaben. Der Verkauf war ein wichtiger Punkt bei unserem Abschied-Nehmen.
Reduzieren, ein schwieriger Prozess
Für den Umzug gaben wir uns ein halbes Jahr. Über Wochen leerten wir Estrich, Keller, Garage. Über Wochen überlegten wir, was von den tausend Sachen wir mitnehmen wollten/könnten, und was wir zurücklassen mussten. Wie würden wir entsorgen: was wegwerfen, was behalten? Wie die Sachen richtig entsorgen? Brockenhaus, Abfall, tutti.ch, verschenken - oder was? Was möchten die Kinder übernehmen? Eine aufreibende Arbeit. Am Schluss entschieden wir uns für die Caritas: Wir würden verschenken, unsere eigene Ausstattung mitnehmen, der Rest würde die Caritas mitnehmen und was noch zu gebrauchen war, weiterverwenden. Das gab uns enormen Freiraum. Der schwierige Prozess zur Reduktion aber blieb.
Zügelarbeit ist ein Kraftakt
Der Zügeltermin rückte näher. Wir entsorgten, packten Karton um Karton, einige trugen wir an den neuen Ort. Es war eine sehr strenge Zeit, und ich dachte oft: Die Leute sagten, uns bliebe noch viel Zeit, wir könnten das Zügeln auch später angehen. In Tat und Wahrheit ist die Zügelarbeit ein Kraftakt, der uns die letzten Energien geraubt hat: physisch und psychisch. Ich frage mich heute immer wieder, ob wir überhaupt fähig gewesen wären, diese kraftraubende Arbeit in fünf oder zehn Jahren auch noch zu leisten. Und gebe mir die Antwort: Wahrscheinlich wäre der Berg der Unmöglichkeit angewachsen, bis sich ein Zügeln erübrigt hätte, und wir bis zuletzt in unserem grossen Haus ausgeharrt hätten.
Geschafft und einfach nur glücklich
Zwei Wochen vor dem Zügeltermin, sehnte ich ihn richtiggehend herbei. Dann war er da. Am Abend vorher schlief ich schlecht, war aufgeregt und fragte mich, ob alles gut laufen würde. Am Morgen war diese Angst wie verflogen. Es herrschte emsiges Treiben, und Tatkraft war angesagt. Mit unserem Zügelteam hatten wir grosses Glück: Die starken Männer waren freundlich, zuvorkommend, verständnisvoll, und sie lasen uns die Wünsche fast von den Augen ab. Innerhalb von 5 Stunden hatten wir es geschafft: Unsere gesamte Bagage war am neuen Ort. Wir liessen uns den einen Schrank noch an eine andere Wand stellen, einen zweiten noch etwas zur Mitte bewegen. Die Zügelmänner halfen ohne Murren. Dann waren sie weg – und ich war einfach nur glücklich. Ich schlief wunderbar und erwachte mit der Freude: «Wir haben es geschafft!»
Der richtige Entscheid
Ich wusste, dass das Auspacken noch einmal eine grosse Arbeit sein würde, und die Übergabe des Hauses an die neue Bewohnerschaft uns noch einmal viel abverlangen würde. Ich wusste auch, dass wir die meisten Dinge in die neue Wohnung gezügelt hatten. Aber in den ersten Tagen wandelte ich wie blind durch die Räume: Ich fand nichts, suchte und suchte alles in den vielen Kisten. Das legte sich etwas mit dem Auspacken. Nach einer Woche fühlte ich mich schon ziemlich heimisch. Mein Mann etwas weniger. Auch diesmal brauchte er mehr Zeit als. Aber er sagte stets überzeugt: «Unser Entscheid war richtig.» Dafür bin ich ihm dankbar.
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